Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert
in einem Traumgesicht vom Himmel selbst eingegeben worden sei.
Obwohl R. Moses somit ein ausgesprochener Gegner des Rationalis
mus war, hielt er sich dennoch von dem schmählichen Feldzug der
Antimaimonisten durchaus fern. Vielmehr suchte er das, was Salomo
aus Montpellier durch gewaltsame Maßnahmen erzwingen wollte,
nämlich die Aufrechterhaltung der Rechtgläubigkeit in den gebildeten
Gesellschaftsschichten, auf dem Wege friedlicher Propaganda zu er
reichen. Zu diesem Zwecke zog er von Stadt zu Stadt und rief die
Freidenker in leidenschaftlichen Predigten zur Buße auf (i236). Un
ter dem Einfluß seiner Strafreden lösten denn auch manche ihre mit
Christinnen eingegangenen Ehen wieder auf und wandten sich der
Beobachtung ehedem mißachteter Riten zu (so dem Anlegen von Te-
fillin u. dgl. m.). Zugleich ermahnte R. Moses in seinen Predigten zur
sittlichen Vervollkommnung und zur Redlichkeit im alltäglichen Ver
kehr. Der gottesfürchtige Rabbiner starb im Jahre 1260. Als Gegen
stück zu seinem Hauptwerke stellte sein jüngerer Zeitgenosse Isaak
aus Corbeil einen kurzgefaßten Kodex unter dem Titel „Kleines Buch
der Gebote“ („Sefer mizwoth katan“, abgekürzt „Semak“) zusammen,
den er an die einzelnen Gemeinden mit der Bitte versandte, Abschrif
ten davon anzufertigen, da „in unserer unheilvollen Zeit das Studium
der Thora im Schwinden begriffen sei und die Gefahr bestehe, daß
ihre Gebote in Vergessenheit geraten könnten“ (um 1280).
Gegen Ende des XIII. Jahrhunderts gehörte die Tossafistenschule
in Nordfrankreich („Zarfath“) bereits der Vergangenheit an. Die
Glossen der Tossafisten sind aber auch heute noch neben dem klassi
schen Raschikommentar in allen Ausgaben des babylonischen Talmud
als Begleittext zu finden (Band IV, § 89). Die talmudische Schola
stik sollte indessen nach ihrem Zusammenbruch in Frankreich auf
spanischem Boden eine neue Blütezeit erleben. Allen Bemühungen
des Maimonides, die kasuistische Methode des Talmudstudiums durch
die positive zu ersetzen sowie der Anhäufung von Zusätzen („Tossa-
foth“) und von Novellen („Chidduschim“) Einhalt zu gebieten, war
nämlich sogar in Spanien, dem Heimatlande der Wissenschaft und der
Philosophie, kein durchschlagender Erfolg beschieden. In der rabbi-
nischen Literatur des XIII. Jahrhunderts herrschten noch immer raf
finierter „Pilpul“ und juristische Grübelei vor, die zum Selbstzweck,
zur „Wissenschaft um der Wissenschaft willen“ geworden, den Geist
von den lebendigen Erkenntnisquellen ablenkten. Zu den kraftvollsten