Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
in einem Traumgesicht vom Himmel selbst eingegeben worden sei. 
Obwohl R. Moses somit ein ausgesprochener Gegner des Rationalis 
mus war, hielt er sich dennoch von dem schmählichen Feldzug der 
Antimaimonisten durchaus fern. Vielmehr suchte er das, was Salomo 
aus Montpellier durch gewaltsame Maßnahmen erzwingen wollte, 
nämlich die Aufrechterhaltung der Rechtgläubigkeit in den gebildeten 
Gesellschaftsschichten, auf dem Wege friedlicher Propaganda zu er 
reichen. Zu diesem Zwecke zog er von Stadt zu Stadt und rief die 
Freidenker in leidenschaftlichen Predigten zur Buße auf (i236). Un 
ter dem Einfluß seiner Strafreden lösten denn auch manche ihre mit 
Christinnen eingegangenen Ehen wieder auf und wandten sich der 
Beobachtung ehedem mißachteter Riten zu (so dem Anlegen von Te- 
fillin u. dgl. m.). Zugleich ermahnte R. Moses in seinen Predigten zur 
sittlichen Vervollkommnung und zur Redlichkeit im alltäglichen Ver 
kehr. Der gottesfürchtige Rabbiner starb im Jahre 1260. Als Gegen 
stück zu seinem Hauptwerke stellte sein jüngerer Zeitgenosse Isaak 
aus Corbeil einen kurzgefaßten Kodex unter dem Titel „Kleines Buch 
der Gebote“ („Sefer mizwoth katan“, abgekürzt „Semak“) zusammen, 
den er an die einzelnen Gemeinden mit der Bitte versandte, Abschrif 
ten davon anzufertigen, da „in unserer unheilvollen Zeit das Studium 
der Thora im Schwinden begriffen sei und die Gefahr bestehe, daß 
ihre Gebote in Vergessenheit geraten könnten“ (um 1280). 
Gegen Ende des XIII. Jahrhunderts gehörte die Tossafistenschule 
in Nordfrankreich („Zarfath“) bereits der Vergangenheit an. Die 
Glossen der Tossafisten sind aber auch heute noch neben dem klassi 
schen Raschikommentar in allen Ausgaben des babylonischen Talmud 
als Begleittext zu finden (Band IV, § 89). Die talmudische Schola 
stik sollte indessen nach ihrem Zusammenbruch in Frankreich auf 
spanischem Boden eine neue Blütezeit erleben. Allen Bemühungen 
des Maimonides, die kasuistische Methode des Talmudstudiums durch 
die positive zu ersetzen sowie der Anhäufung von Zusätzen („Tossa- 
foth“) und von Novellen („Chidduschim“) Einhalt zu gebieten, war 
nämlich sogar in Spanien, dem Heimatlande der Wissenschaft und der 
Philosophie, kein durchschlagender Erfolg beschieden. In der rabbi- 
nischen Literatur des XIII. Jahrhunderts herrschten noch immer raf 
finierter „Pilpul“ und juristische Grübelei vor, die zum Selbstzweck, 
zur „Wissenschaft um der Wissenschaft willen“ geworden, den Geist 
von den lebendigen Erkenntnisquellen ablenkten. Zu den kraftvollsten
	        
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