Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Periode der Kolonisierung 
ten an der wirtschaftlichen Betätigung der jüdischen Pächter und 
Handelsvermittler unmittelbar interessiert waren. Die im Kodex des 
Erwig vielfach wiederholten, an die weltlichen und geistlichen Macht 
haber gerichteten Ermahnungen, die Juden nie und nirgends in 
Schutz zu nehmen, zeugen davon, daß auch zu jener Zeit die wirt 
schaftlichen Interessen vor den kirchlichen den Vorrang hatten. Kam 
es doch nicht selten vor, daß ein Bischof, der eben auf einem Konzil 
seine Stimme für die Ausrottung des Judentums abgegeben hatte, in 
seine Diözese zurückgekehrt, den ortsansässigen Juden nach wie vor 
seinen Schutz angedeihen ließ. Und dennoch glaubte man diese auf 
den Konzilen aufgeführte Komödie nicht entbehren zu können. So 
stimmte denn auch das zwölfte Konzil von Toledo allen Gesetzesvor 
schlägen des Erwig ohne weiteres zu. Der Schlußartikel des ange 
nommenen Kodex brachte den königlichen Willen zum Ausdruck, 
daß die neuen Gesetzesbestimmungen den Juden allenthalben von 
Amts wegen bekanntgegeben werden sollten, damit sie nicht die Un 
kenntnis des Gesetzes als Entschuldigungsgrund vorschützen könn 
ten; das Gesetzbuch sollte nämlich von den Bischöfen oder Geist 
lichen den in der Kirche zu versammelnden Juden im lateinischen 
Urtext oder in der Umgangssprache (lectus vel traditus) vorgelesen 
werden. Zwei Tage nach dem Abschluß der Konziltagung wurde 
diese Bestimmung in Toledo auch zur Ausführung gebracht (am 
27. Januar 681). 
In dieser gegen das Judentum neu eingeleiteten Aktion ist schon 
auf den ersten Blick der Fanatismus eines Kirchenhauptes als die 
treibende Kraft nicht zu verkennen. Hinter dem König Erwig stand 
in der Tat als der geistige Urheber und Leiter des ganzen Kriegsun 
ternehmens sein Freund, der Erzbischof von Toledo, Julian, der, 
wie erwähnt, auch den Vorsitz auf dem letzten Konzil führte und 
eine in jeder Beziehung scharf ausgeprägte Persönlichkeit war. Es 
ging das Gerücht, daß Julian von einer jüdischen Familie abstamme, 
vielleicht von einer jener Familien, die unter König Sisebut aus Furcht 
sich der Kirche in die Arme geworfen hatten. Das Schicksal wollte 
es, daß dieser Mann zu einem der ungestümsten Streiter der Kirche 
in ihrem Kampfe gegen das jüdische Volk werden sollte. Ein her 
vorragender theologischer Schriftsteller, erblickte er seine Lebens 
aufgabe darin, die Juden auf den „Weg der Wahrheit“ zu weisen. 
Seiner Feder entstammten wohl alle jene theologischen Erwägungen, 
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