Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 8. Die letzten westgotischen Könige in Spanien 
liehe Lehre verachten“, ostentativ loszusagen. Außerdem mußte er 
bei allen Helden des Alten und Neuen Testaments, bei der heiligen 
Dreifaltigkeit, bei dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, 
bei den Aposteln und Heiligen, bei der Sinaioffenbarung und den 
evangelischen Wunderwerken feierlichst schwören, daß er die von 
dem neuen Glauben vorgeschriebenen Regeln ausnahmslos beobachten 
werde, wobei er für den Fall seiner Abtrünnigkeit und des Rück 
falls in die „jüdische Irrlehre“ alle in der Thora aufgezählten Ver 
wünschungen im voraus auf sein Haupt herniederzurufen hatte. Aber 
seiner Sache noch immer nicht sicher, glaubte Erwig die Neophyten 
überdies unter die Aufsicht der Bischöfe stellen zu müssen, bei denen 
sie sich, wie es» schon früher Rrauch war, an allen Sabbaten und son 
stigen Feiertagen zu melden hatten. Auch jeder aus einer anderen 
Stadt oder Provinz Zugereiste mußte sich dem Bischof, dem Prie 
ster oder dem Richter des betreffenden Ortes, persönlich vorstellen 
und sich stets zu ihrer Verfügung halten, damit es ihrer Wach 
samkeit nicht entginge, falls der Neuankömmling sich erdreisten 
sollte, jüdische Feiertage zu beobachten. Die kirchenpolizeiliche Über 
wachung der aus fernen Gegenden Zugewanderten mochte ihren 
Grund wohl darin gehabt haben, daß diese wegen der Judenverfol 
gungen sich häufig als Neophyten ausgaben. Gegen solche Vorspie 
gelungen, zu denen die Juden zwecks Sicherung ihres Sklavenbesitzes 
Zuflucht zu nehmen pflegten, war übrigens ein besonderer Gesetzes 
artikel gerichtet. 
Der Kodex des Erwig ist voll von inneren Widersprüchen. Neben 
der Androhung härtester Strafen und der Landesverweisung für 
die Ausübung des jüdischen Kultes nach Ablauf der gewährten Gna 
denfrist kehren den älteren Gesetzbüchern entnommene Vorschriften 
wieder (so das Verbot, christliche Dienstboten zu beschäftigen, Ver 
waltungsämter zu bekleiden u. dgl.), die das Vorhandensein von un- 
getauften, sich offen zu ihrer Religion bekennenden Juden im Lande 
voraussetzen. Offenbar glaubten die Gesetzgeber selbst nur wenig 
an den Erfolg ihres neuen ungestümen Angriffs gegen das Juden 
tum. Wie ehedem besaßen die Herrscher von Toledo auch jetzt nicht 
die Kraft, den Plan einer restlosen Vertreibung der Juden aus allen 
Provinzen zur Ausführung zu bringen. Dazu hätten sie die Zustim 
mung der Provinzialstatthalter und der großen Lehensherren gewin 
nen müssen, die jedoch als Besitzer weitausgedehnter Gutsherrschaf- 
6 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
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