Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 5. Das Frankenreich unter den Merowingern 
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vorbei war, wieder lossagten, um sich von neuem offen zum Juden 
tum zu bekennen. 
Zwar wird in den offiziellen Urkunden und in den Chroniken der 
auf die Regierung Dagoberts folgenden Zeit der Juden nur selten 
Erwähnung getan, doch ist dies weniger auf das Fehlen einer jüdi 
schen Bevölkerung, als vielmehr auf den allgemeinen Übergangszu 
stand zurückzuführen, in dem sich das Frankenreich während des 
zwischen dem Tode Dagoberts und dem Hervortreten Karls des Gro 
ßen liegenden Jahrhunderts befand. Die Gewalt der Merowinger wurde 
inzwischen zu einem Schattenbilde ihrer früheren Machtvollkommen 
heit; in der Staatsverwaltung führte jetzt das große Wort der Ma 
jordomus oder Palastmeister (Meister des königlichen Hofes), der 
Vertreter der Lehensherren und der Magnaten des gesamten König 
reiches war. Der Staat zersplitterte sich; jeder seiner drei Hauptteile: 
Neustrien, Austrasien und Burgund besaß einen eigenen Schattenkönig 
sowie einen Majordomus, die sich die Gewalt gegenseitig streitig mach 
ten. Die Palastmeister streckten ihre Hände ganz unverhohlen nach der 
höchsten Staatsgewalt aus, die den tatkräftigsten unter ihnen, von der 
Art Pippins II. oder Karl Martells, der den Ansturm der Araber abzu 
wehren wußte (732), späterhin auch tatsächlich zufiel. Europa stand 
unmittelbar vor der Bildung des Reiches Karls des Großen. Während 
dieser Übergangsperiode kümmerte sich die weltliche und auch die 
kirchliche Gewalt im Frankenreiche nur wenig um die jüdische 
Frage; die Kirchenkonzile, die sich im VI. Jahrhundert so eifrig mit 
den Juden beschäftigt hatten, pflegten in den nächsten zwei Jahr 
hunderten hier nur sehr selten einberufen zu werden. In dem in Auf 
lösung begriffenen Staate führte auf jedem Lehensgut der Lehens 
herr, in jeder Diözese der Bischof eigenmächtig das Zepter, und 
innerhalb der einzelnen Herrschaftsbereiche bildeten die Juden einen 
so wichtigen Bestandteil des wirtschaftlichen Mechanismus, daß sie 
ohne Schädigung des Ganzen nicht gut entfernt werden konnten. 
Schon die obenerwähnten Ereignisse und Gesetzgebungsakte be 
leuchten zum Teil die Rolle, die den Juden im Wirtschaftsleben des 
Frankenreiches zugefallen war. Nach den amtlichen Urkunden und 
den zeitgenössischen Chroniken (so namentlich nach der von Gregor 
von Tours) zu urteilen, wohnten die Juden vornehmlich in den 
Städten; sie konzentrierten sich hauptsächlich in dem südlichen Kü 
stengebiet In den Hafenstädten (Marseille, Arles, Bordeaux) befaß- 
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