Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Anhang 
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überdies die damals gedichteten synagogalen Elegien, die zuweilen die 
Geschehnisse, durch die das eine oder andere liturgische Stück veranlaßt 
worden ist, zur plastischen Darstellung bringen (s. § 4i). 
Die spanische Judenheit hinterließ uns zwei geschichtliche Denkmäler: 
die Chronik des Abraham ibn Daud „Sefer ha’Kabbala“ und das „Buch 
der Reisen“ („Sefer ha’Massaoth“) des Benjamin Tudela (S 47). Die 
Chronik, die sich nach dem Vorbilde des „Sendschreibens des Scherira 
Gaon“ von scholastischem Interesse leiten ließ, handelt ausführlich von 
dem geistigen Leben, gibt aber nur sehr dürftige Auskunft über die po 
litische und soziale Lage der damaligen spanischen Judenheit. Immerhin 
zeichnet sich der von ihr gebotene Stoff fast ausnahmslos durch seine Zu 
verlässigkeit aus, und so gewährt die Chronik des Ibn Daud im Zu 
sammenhang mit der reichhaltigen jüdischen Literatur jener Zeit einen 
ziemlich klaren Einblick in die sozialen Verhältnisse der Juden inner 
halb der muselmanischen und christlichen Staaten Spaniens. Viel wichtiger 
für die Geschichte der gesamten jüdischen Diaspora des XII. Jahrhun 
derts ist aber das „Reisebuch“ des Benjamin Tudela. Zum ersten Male 
vernehmen wir hier von einem Augenzeugen mehr oder weniger genaue 
Nachrichten über die in vielen europäischen, asiatischen und afrikani 
schen Ländern bestehenden jüdischen Gemeinden, über ihre Mitglieder 
zahl, ihre Führer und Institutionen. Die Reiseschilderungen des Benja 
min retteten vor der Vergessenheit viele Ereignisse der jüdischen Ge 
schichte, die sich in den von den damaligen Chronisten ganz mit Schwei 
gen übergangenen Ländern: in Italien, Byzanz, Palästina, Syrien und 
Mesopotamien abgespielt haben. Gleichsam als eine Ergänzung zu der 
von Benjamin gegebenen Beschreibung des Orients erscheint das kurz 
gefaßte Buch des Petachia von Regensburg „Sibub ha’olam“, das etwa 
ein Jahrzehnt später (um 1190) entstanden ist. An Weite des Blicks und 
an Genauigkeit seiner Beobachtungen hinter dem spanischen Vorgänger 
zurückbleibend, vermittelt uns jedoch der Reisende aus Deutschland viel 
ausführlichere Nachrichten über Mesopotamien, das er zur Zeit des Bag- 
dader Exilsfürsten und Gaons Samuel ben Ali bereiste. Eine weitere Er 
gänzung zu dem klassischen Werke des Benjamin Tudela stellen jene 
Kapitel des „Tachkemoni“ von Alcharisi dar, die seine Erlebnisse auf 
der von ihm zu Beginn des XIII. Jahrhunderts nach Byzanz und Vorder 
asien unternommenen Reise in halbpoetischer Form wiedergeben. Von 
nicht zu unterschätzender Bedeutung sind für die Geschichte des da 
maligen Morgenlandes auch noch der Briefwechsel und die Sendschreiben 
des Maimonides, so insbesondere: „Iggereth ha’schemad“ und „Iggereth 
Theman“ (s. Bibliographie zu §S 57—61). 
Dies ist das Bild, das uns die Quellen zur Geschichte der drei in 
diesem Bande behandelten Epochen bieten. Der Weg, den der jüdische 
soziologisch eingestellte Geschichtsschreiber in dieser Zeitgegend zu durch 
wandern hat, ist nicht weniger dornenvoll als der bereits früher zu 
rückgelegte. Zwar türmen sich ihm auf dieser Strecke viel seltener als
	        
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