Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Eine Schilderung seiner Lebensweise in Kairo ist uns von dem 
großen Denker selbst in einem von ihm um das Jahr 1199 geschrie 
benen Brief überliefert: „Ich wohne in Mizraim (Fostat), der König 
aber in Al-Kairo (in der Neustadt), in der Entfernung von zwei Sab 
batmeilen (etwa ein Drittel Meile). Allmorgendlich muß ich bei dem 
König erscheinen; ist er selbst oder jemand von seinen Kindern oder 
Frauen leidend, so darf ich Kairo nicht verlassen und verweile den 
größten Teil des Tages bei Hofe. Zuweilen muß ich überdies die er 
krankten Beamten in Behandlung nehmen. Aber auch an den Ta 
gen, wenn nichts Besonderes vorgefallen ist, kehre ich nach Fostat 
erst nachmittags, hungrig und müde, zurück. Dort finde ich in der 
Vorhalle meines Hauses eine Unmenge von Menschen: Muselmanen 
und Juden, Würdenträger und schlichte Bürger, Richter und Beamte, 
Freunde und Feinde, die voll Ungeduld meiner harren. Ich steige 
von meinem Esel, wasche mich und trete in den Warteraum mit der 
Bitte, mich so lange zu entschuldigen, bis ich etwas zu mir genom 
men habe. Dann lasse ich die Kranken hereintreten, um sie zu be 
handeln, und verschreibe ihnen auf Zetteln Arzneimittel, die sie von 
ihren Leiden heilen sollen. So gehen die Leute bei mir bis zum 
späten Abend ein und aus. Manchmal bleibe ich bei gelehrter Unter 
haltung bis um zwei in der Nacht auf und erteile, todmüde auf dem 
Ruhebette liegend, Rat und Anweisung ... An den Sabbattagen 
pflegen die Gemeindemitglieder nach der Andacht zu mir zu 
kommen, um meine Anweisungen für die ganze Woche entgegen 
zunehmen' £ . 
Als dieser Brief geschrieben wurde, war Saladin nicht mehr am 
Leben, und es kann hier somit nur einer seiner Nachfolger, wohl der 
Sultan Adil, gemeint sein. Einige Jahre später schied auch Moses 
Maimonides aus dem Leben (i2o4). Die Nachricht von dem Ableben 
des großen Denkers versetzte nicht nur die Juden, sondern auch 
die Muselmanen in tiefste Trauer, da auch’ die Araber Maimonides 
zu den führenden Geistern ihrer Literatur zählten. In Jerusalem ord 
nete die jüdische Gemeinde anläßlich des Hinscheidens des „Haup 
tes der Nation" einen Trauergottesdienst und ein Fasten an. Die Ge 
beine des Maimonides wurden nach dem Heiligen Lande überführt 
und in Tiberias zur letzten Ruhe bestattet Maimonides war es nicht 
vergönnt, in Palästina, in dem zu seinen Lebzeiten die Kämpfe zwi- 
30 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
465 
§ 61. Maimonides in Maghreb und Ägypten
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.