Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 60. Ägypten und Palästina 
(1099), entrissen worden war, konnte sich mit dem Verlust dieser 
Provinz nicht abfinden. In den ersten Jahren nach der Begründung 
des Königreichs Jerusalem sah denn auch das christliche Palästina gar 
häufig an seiner Küste die Kriegsflotte der Ägypter auftauchen, die 
in dem Kriegshafen Askalon ihren Stützpunkt hatten und von dort 
aus Vorstöße in das Innere des Landes unternahmen. Später über 
ließen jedoch die Fatimiden Palästina seinem Schicksal, bis der Be 
gründer der neuen ägyptischen Ejubidendynastie (1171), der helden 
mütige Saladin (Salah-Eddin), den Kampf um das Heilige Land von 
neuem aufnahm. 
Die Lage der ägyptischen Juden unter den letzten Fatimiden 
war überaus günstig. Die großen Gemeinden von Kairo-Fostat 
und Alexandrien standen in Blüte, reges jüdisches Leben herrschte 
auch in den anderen Städten, und die Selbstverwaltung wurde 
immer weiter ausgfebaut. Ungeachtet des Wiedererstehens des Exil- 
archats in Bagdad besaß Ägypten nach wie vor seinen eigenen Exils 
fürsten in der Person des Nagid (Band III, § 67). Im zweiten. 
Viertel des XII. Jahrhunderts hatte die Würde eines Nagid Samuel 
abu Mansur inne, der in Kairo am Hofe des Fatimidenkalifen Hafiz 
als Arzt angestellt war. Die ägyptischen Chronographen wissen über 
die Vorgeschichte des Aufstiegs dieses jüdischen Würdenträgers fol 
gendes zu erzählen. Zwischen dem Kalifen und seinem Sohne Hassan 
kam es zu einer Entzweiung, weil nämlich der Kalif den Thron nicht 
seinem rechtmäßigen Erben, sondern einem anderen, von den Provin 
zialemiren unterstützten Sohne zu überlassen gedachte. Nachdem Hassan 
einen Teil des Heeres für sich gewonnen hatte, nahm er viele von 
den Emiren fest und gab sie einem qualvollen Tode preis; bald wandte 
sich jedoch das Kriegsglück von ihm ab, und nun verlangten die 
Emire, daß der grausame Prinz selbst hingerichtet werde. Hierauf 
beschloß der zur Erfüllung dieser Forderung genötigte Hafiz, seinen 
Sohn wenigstens durch ein schnellwirkendes Gift sterben zu lassen, 
und bat seinen Hofarzt Abu-Mansur, den Gifttrank zu brauen. Der 
jüdische Arzt weigerte sich aber, den Auftrag auszuführen, und schwor 
bei der Thora, daß ihm das Geheimnis einer solchen Giftmischung 
nicht bekannt sei (nach einer anderen Version soll er seine Weigerung 
damit begründet haben, daß ein Arzt todbringende Mittel nicht ver 
schreiben dürfe). So trat denn der Kalif mit seinem Ansinnen an 
den muselmanischen Leibarzt, einen reichen und habgierigen Wür- 
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