Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 54. Das geistige Leben in Italien und Byzanz 
nigsten unter den Verfolgungen der byzantinischen Regierung zu 
leiden hatten, wenn auch die ihnen auferlegten Rechtsbeschränkun 
gen aufs peinlichste eingehalten wurden; um so härter setzte ihnen 
aber die griechische Revölkerung der Großstädte wie Konstantinopel 
und Saloniki zu, deren alteingewurzelter Judenhaß infolge der Han 
delskonkurrenz immer neue Nahrung erhielt. Den Griechen, den ge 
borenen Händlern, mußten die Juden namentlich in den Hafenplät 
zen ein Dorn im Auge sein. Und dennoch waren die byzantinischen 
Juden im Gegensatz zu ihren mitteleuropäischen Rrüdern in ihrer 
Rerufswahl in keiner Weise eingeengt: sie übten nicht nur allerlei 
Handwerk aus, sondern leiteten auch größere Industrieunternehmen, 
wie etwa Werkstätten für Seidenstofferzeugung, und betätigten sich 
außerdem an manchen Orten in der Landwirtschaft. Auf allen die 
sen Arbeitsgebieten bot sich genügend Anlaß zu Konflikten mit der 
christlichen Umwelt; da indessen die Staatsgewalt um jene Zeit an 
der Verschärfung der religiösen und nationalen Gegensätze kein In 
teresse hatte, so beschränkte sich der Judenhaß nur auf die Be 
kundung von Mißgunst im alltäglichen Leben, sowie auf die Ver 
meidung jedes näheren Verkehrs mit den jüdischen Mitbürgern, was 
unausbleiblich auch bei diesen eine Entfremdung gegenüber der 
feindlichen Umwelt hervorrufen mußte. 
§ 54. Das geistige Leben in Italien und Byzanz 
Bis in das XI. Jahrhundert hinein bildete Italien den Durch 
gangspunkt, den die auf der Wanderung von Ost nach West be 
griffene jüdische Kultur unvermeidlich passieren mußte (§ 21). 
Als dieser Verschiebungsprozeß in der Zeit der Kreuzzüge unmittel 
bar vor seinem Abschluß stand, begann jedoch dem jüdischen Italien 
geistige Nahrung auch schon aus den beiden westlichen Hegemonie 
zentren, aus Frankreich und Spanien, zuzuströmen. So tritt uns denn 
gleichsam als eine Verkörperung dieses Übergangsmomentes um die 
Wende des XI. Jahrhunderts ein in Rom wirkender Talmudforscher 
entgegen, der seine Kenntnisse gleichzeitig aus babylonischen und 
französischen Quellen schöpfte. Dieser Gelehrte, Nathan ben Jechiel, 
der einer gebildeten römischen Familie entstammte, studierte nämlich 
das talmudische Schrifttum in Sizilien unter der Anleitung des dor 
tigen „Dajan“, der unmittelbar aus Babylonien gekommen war und 
noch selbst zu Füßen des Gaon Hai in Pumbadita gesessen hatte. 
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