Alte und neue Kolonien
durch die Weltereignisse gar bald in furchtbarster Weise Lügen ge
straft werden: im Sommer des Jahres 1099 erreichte endlich das
Kreuzfahrerheer Palästina, brach in Jerusalem ein und richtete unter
den dort lebenden Juden schwerstes Unheil an . . .
Den in ihren messianischen Hoffnungen so arg getäuschten by
zantinischen Juden blieb nur der einzige Trost, daß sie wenigstens
dem Schicksal ihrer Brüder in der Rheingegend entronnen waren.
Infolge der zwischen Latinern und Griechen bestehenden Gegner
schaft hielten sich diese von den Kreuzfahrern möglichst fern, soweit
sie sich nicht selbst gegen die auf dem Balkan und in Kleinasien
wütenden Räuberbanden zur Wehr setzen mußten. So war das für
die mitteleuropäische Judenheit so verhängnisvolle XII. Jahrhundert
in der Geschichte der byzantinischen Juden eine der ruhigsten Pe
rioden, während der sie unter keinerlei Massenverfolgungen zu lei
den hatten und eine überaus rege Wirtschaftstätigkeit in dem gan
zen Bereiche der griechischen Mittelmeerküste zu entfalten vermoch
ten. Dies wird uns von dem in den sechziger Jahren dieses Jahr
hunderts aus Italien weiter nach Byzanz vorgedrungenen Reisenden
Benjamin Tudela bezeugt, dessen Schilderung ein getreues Bild von
dem Leben der jüdischen Gemeinden unter Kaiser Manuel Komnenos
bietet.
In dem im äußersten Süden Italiens gelegenen und noch unter
byzantinischer Herrschaft stehenden Hafen Otranto angelangt, ver-
zeichnete der Reisende, daß die Stadt sich „an der Küste des Grie
chischen Meeres“ erhebe und eine sich aus fünfhundert Mitgliedern
zusammensetzende, von einem Rabbinerkollegium verwaltete jüdische
Gemeinde beherberge. In der Stadt Arta (oder Larta), wo „man schon
die Stammlande des griechischen Königs Manuel betritt“, fand Ben
jamin nahezu hundert Juden vor; eines der Gemeindehäupter trug
den ausgesprochen griechischen Namen „Herakles“. In Patras wa
ren fünfzig, in Lepanto hundert Juden ansässig; in Krisso, am Fuße
des Parnaß, lebten in völliger Abgeschlossenheit zweihundert Juden,
die Landwirtschaft trieben: „Sie säen und ernten auf eigenen Be
sitzungen, auf eigenem Grund und Boden“ — so berichtet Benjamin
über die seltene Ausnahmeerscheinung. In Korinth zählte die Ge
meinde dreihundert Mitglieder. Die größte Gemeinde im eigentlichen
Griechenland hatte aber Theben aufzuweisen: „Es ist dies eine große
Stadt, in der etwa zweitausend Juden ansässig sind. In der Verfer-