Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 53. Byzanz und die griechischen Gemeinden 
zwischen kamen immer neue Scharen von schreckerfüllten Flücht 
lingen aus Deutschland und erzählten ihren Brüdern in Saloniki und 
Konstantinopel von den erlebten Greueln und zugleich auch von den 
unmittelbar bevorstehenden Wundern: auf ihrem Wege (wohl über 
Ungarn) sei ihnen zu Ohren gekommen, daß sich von den „finste 
ren Bergen 44 her Israeliten aus den mysteriösen „zehn Stämmen 44 
in Bewegung gesetzt hätten, denen noch siebzehn Gemeinden aus 
„Al-Chasarien 44 gefolgt seien, und daß es nun abzuwaxten gelte, bis 
die deutschen Kreuzfahrer Palästina erreicht haben und die „Dresch 
tennen voll sein 44 würden, denn sobald dies geschehen, würde sich 
das jüdische Heer auf sie stürzen und mit dem „JDreschen 44 begin 
nen, damit erfüllt werde die Prophezeiung: „Mache dich auf und 
drisch, du Tochter Zion! 44 (Micha i3.) Im Zusammenhang mit 
den schon früher erwachten dunklen Hoffnungen versetzten diese 
Nachrichten die byzantinischen Juden in schwärmerische Begeiste 
rung. In Saloniki erzählte man sich von allerlei Zeichen und Wun 
dern, davon, daß sich an verschiedenen Orten bereits der Prophet 
Elia gezeigt hätte und daß sich ihm sogar Christen zugewandt hät 
ten. Der Bischof von Saloniki selbst soll, der Überlieferung zufolge, 
zu den dortigen Juden die folgenden Worte gesprochen haben: 
„Was sitzet ihr hier? Verkauft eure Häuser und eure Habe und 
macht euch auf den Weg, denn wir haben die sichere Kunde ver 
nommen, daß euer Messias schon unterwegs sei, und auch unser Kai 
ser wird euch seine Unterstützung gewiß nicht versagen 44 . So ließen 
denn die Juden all ihr Tagewerk im Stich, sammelten sich in den 
Synagogen, fasteten und beteten und erwarteten voll Spannung das 
Zeichen zum ersehnten Aufbruch. Auch das geistliche Haupt der jü 
dischen Gemeinden in Macedonien, der Rabbiner von Saloniki Tobia 
ben Elieser (der Verfasser des Midrasch „Lekach Tob 44 ), scheint 
von der messianischen Bewegung mitgerissen worden zu sein und 
sandte „heilkündende Nachrichten 44 nach Konstantinopel. Weniger 
glaubensselige Gemeindevertreter befragten schriftlich die Gaonen von 
Palästina und Ägypten, unter anderen auch den berühmten Gaon 
Ebjatar (Band III, § 67), ob man den Gerüchten von einer baldigen 
Befreiung des Heiligen Landes Glauben schenken solle. Von Ebjatar 
traf denn auch bald ein aus der syrischen Hafenstadt Tripolis ge 
sandtes Antwortschreiben ein, dessen Inhalt uns jedoch nicht über 
liefert ist. Indessen sollten all diese messianischen Prophezeiungen
	        
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