Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Alte und neue Kolonien 
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Normannenherrschaft (§ 19) behauptete sich bis zum Ausgang des 
XII. Jahrhunderts und nahm erst ein Ende, als der deutsche Kaiser 
Heinrich VI. Süditalien eroberte (1194), um es der Herrschaft der 
Hohenstaufen zu unterwerfen. Die normannischen Herren Süditaliens, 
die das auf der Leibeigenschaft beruhende Lehenssystem dorthin 
verpflanzt hatten, förderten in ihrem Machtbereich zugleich die Ent 
faltung von Handel und Industrie. Den drei Gruppen der Landes 
bevölkerung: den Griechen, Juden und Arabern wurde daher der 
weiteste Spielraum für eine freie Betätigung gelassen. Obwohl der 
Herzog Roger II. (1127—1154) aus politischen Erwägungen seine 
Vasallenabhängigkeit von Rom formell anerkannte und den ihm von 
dem Papst Anaklet II. verliehenen Königstitel nicht verschmähte, un 
terließ er es jedoch, in seinem Königreiche den kirchlichen Aspira 
tionen Vorschub zu leisten, was bei der Buntscheckigkeit der Lan 
desbevölkerung in nationaler und religiöser Hinsicht auch wohl 
kaum möglich gewesen wäre. Die Städte Apuliens und Siziliens ge 
langten unter Roger zu hoher Blüte und wurden zu bedeutenden 
Mittelpunkten des wirtschaftlichen und geistigen Lebens. Amalfiund 
Palermo wetteiferten mit den nördlichen Hafenstädten Venedig und 
Genua; Salerno war durch seine Hochschule für Medizin berühmt, 
Neapel und Amalfi durch ihre juristischen Hochschulen. Der leb 
hafte Verkehr mit dem Orient, insbesondere mit den am nächsten 
gelegenen Hafenstädten Nordafrikas, förderte die Entfaltung der 
verschiedensten Gewerbe. So wurde zusammen mit dem weißen Maul 
beerbaum aus dem Orient auch die Seidenraupenzucht nach Süditalien 
verpflanzt, die vornehmlich von den Griechen und Juden betrieben 
wurde. Überhaupt nahm die zahlreiche und rührige jüdische Be 
völkerung im Leben des Landes einen ansehnlichen Platz ein. Ben u 
jamin Tudela, der sich aus Rom weiter nach Süditalien begab, schil 
dert die dortigen jüdischen Gemeinden in folgender Weise: 
„Von dort (von Rom) aus sind es vier Tagereisen bis Capua, 
einer großen Provinzhauptstadt; es leben daselbst etwa dreihundert 
Juden (Familien), darunter auch im Lande überaus angesehene 
Persönlichkeiten, wie der Älteste Rabbi Gonpasso, sein Bruder Rabbi 
Samuel, Rabbi Saken und der Rabbiner David, der den Titel eines 
„Principale“ führt . . . Die Stadt Neapel ist sehr stark befestigt, 
an der Meeresküste gelegen und von Griechen erbaut; es leben dort 
etwa fünfhundert Juden, darunter Rabbi Hiskia, Rabbi Schalom,
	        
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