Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

hielt sich längere Zeit in Lunel, Beziers, Arles auf, reiste durch Spa 
nien und Ägypten und brachte die letzten Jahre seines Lebens in Mar 
seille zu. Samuel war ein begeisterter Verehrer des Maimonides, mit 
dem er in literarischem Briefwechsel stand. Er übersetzte auch 
dessen philosophisches Werk „Führer der Irrenden“ aus dem 
Arabischen ins Hebräische, ferner einen Teil seines Kommen 
tars zur Mischna und mehrere seiner kleineren Schriften. Diese 
Übersetzungsarbeiten, denen eine so bedeutsame Rolle in der Ge 
schichte der jüdischen Aufklärung zufiel, stellten das selbstän 
dige Schaffen des Samuel auf dem Gebiete der Exegetik und der 
Philosophie gänzlich in den Schatten. Durch ihre Übersetzungen aus 
dem Arabischen schufen die Tibboniden einen eigenartigen philo 
sophischen Stil sowie eine reich entwickelte Terminologie, die sich 
in der hebräischen Literatur fest einbürgerte und jahrhundertelang 
ein vortreffliches Mittel für die Wiedergabe kompliziertester philo 
sophischer Begriffe bot. Das Hauptverdienst der Tibboniden besteht 
aber darin, daß dank ihren Bemühungen die klassischen Werke der 
spanischen Gelehrten und Philosophen überall Verbreitung fanden 
und zum Gemeingut der ganzen Judenheit wurden. 
§ 48. Moses ben Maimon (Maimonides) 
Das gesamte geistige Schaffen des XII. Jahrhunderts fand seinen 
würdigen Abschluß in dem Lebenswerk jenes Mannes, den das Volk 
mit dem Titel des „zweiten Moses“ krönte. Dieser Große konnte mit 
dem Schöpfer des Judaismus aus dem Grunde verglichen werden, weil 
er nicht nur Philosoph oder Gelehrter war, sondern auch zum geisti 
gen Organisator des Judentums werden sollte. In seiner „Zweiten 
Thora“, in der er die uralte Thora mit dem Talmud zu einem Gan 
zen vereinigte, ging er darauf aus, die Arbeit von Jahrtausenden zu 
sammenzufassen. Aber er schreckte auch vor einer noch größeren 
Aufgabe nicht zurück: er versuchte, im Judaismus zwei Weltanschau 
ungen, die religiöse und die philosophische, zu einer Einheit zusam 
menzuschweißen, Glauben und Wissen zu versöhnen und durch die 
Zucht des bewußten Glaubens und des freien Denkens das nationale 
Leben auf eine unerschütterliche Basis zu stellen. So streute er denn 
eine Saat von Ideen aus, die zu einer Scheidung der Geister führen und 
alle Gebildeten viele Jahrhunderte lang in Spannung halten sollten. 
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Moses ben Maimon
	        
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