Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 47. Wissenschaft und Literatur 
die Fortschrittsbewegung auf alle Gebiete des jüdischen Lebens über 
gegriffen hatte, innerhalb der im Orient herrschenden Atmosphäre 
der Stagnation auf ihre eigene Weise weiter um ihr Dasein kämpf 
ten. — Seit dem XVI. Jahrhundert wurde das Werk des Benjamin 
von Tudela vielfach in europäische Sprachen übersetzt, und der Name 
dieses jüdischen Reisenden, der in der Erforschung Asiens dem be 
rühmten Venezianer Marco Polo um ein ganzes Jahrhundert zuvor 
kam, gehört zu den angesehensten in der Geschichte der Erdkunde. 
Von Spanien breitete sich die literarische Renaissance über Süd 
frankreich, über das Languedoc und die Provence aus. Die zwischen 
Frankreich und den nordspanischen christlichen Reichen, Kastilien 
und Navarra, angeknüpften politischen Beziehungen mußten auch die 
jüdischen Gemeinden dieser Länder einander näherbringen. Es war 
dies gerade die Zeit, da sich die jüdischen kulturellen Zentren aus 
dem muselmanischen Spanien nach dem christlichen und zum Teil 
auch nach den benachbarten provenzalischen Städten: nach Narbonne, 
Lunel, Montpellier verschoben. So standen denn die Juden der Pro 
vence und des Languedoc in dem Bereiche der Talmudforschung un 
ter dem unmittelbaren Einfluß der nordfranzösischen Tossafisten, 
während ihnen zugleich auf dem Gebiete des weltlichen Wissens und 
der Philosophie die Schätze zur Verfügung standen, die von ihren 
spanischen Nachbarn angehäuft worden waren. Eine Schar erlesener 
Männer bemühte sich hier um die Verbreitung der wissenschaftlichen 
und philosophischen Werke der spanischen Schule. Hierbei taten sich 
besonders zwei literarische Dynastien hervor: die Kimchiden und die 
Tibboniden. Die Familie Kimchi übersiedelte aus Spanien nach Nar 
bonne während der Judenverfolgungen unter den Almohaden. Joseph 
Kimchi (gest. um 1170) verfaßte einen Kommentar zu den biblischen 
Büchern, übersetzte das bekannte Werk des Bachja ibn Pakuda „Her 
zenspflichten“ ins Hebräische, schrieb religiöse Hymnen und befaßte 
sich auch mit Untersuchungen zur hebräischen Grammatik („Sefer ha’- 
galuj“). Überdies wird ihm ein für jene Zeit überaus bezeichnender 
Dialog zwischen einem gesetzestreuen und einem getauften Juden zu 
geschrieben („Sefer ha’berith“). Das von Joseph Kimchi in Narbonne 
begonnene Werk setzten seine Söhne Moses und David weiter fort. 
David Kimchi (um 1160—1235), der unter dem abgekürzten Namen 
Radak (RDK = Rabbi David Kimchi) bekannt ist, verfaßte eine 
volkstümlich gewordene hebräische Grammatik nebst einem Lexikon 
25 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
385
	        
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