Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 46. Nationale und universale Philosophie 
discho Volk unter den anderen Völkern zu behaupten, während diese 
unter den gleichen Verhältnissen unweigerlich der Vernichtung an 
heimfielen. Das zeitweilige Mißgeschick Israels, seine Zerstreuung 
und seine Leiden, können nicht als Gegenbeweis gegen die Wahrheit 
des Judaismus geltend gemacht werden, da sie notwendig zu jenem 
Erziehungsprogramm gehören, das Gott für das auserwählte Volk 
vorgezeichnet hat. „Israel ist unter den Völkern, was das Herz unter 
den anderen Körperteilen ist: es leidet für den ganzen Körper und 
empfindet zugleich den Schmerz schärfer als alle anderen Körper 
teile. Nicht umsonst hat Gott zu Israel gesprochen: Euch habe ich 
unter allen anderen erkannt, darum werde ich euch vor allen anderen 
heimsuchen“. 
Die Apologie nimmt hin und wieder die Form einer heftigen Dis 
putation an. Als der jüdische Mitunterredner des Chasarenkönigs die 
Priester des Jerusalemer Tempels und die alten Propheten mit Haupt 
und Herz des Volkes vergleicht und der König ihn darauf spöttisch 
fragt: „Also seid ihr jetzt ein köpf- und herzloser Rumpf?“, bleibt 
ihm der Gelehrte die Antwort nicht schuldig: „Ja, du hast recht, 
nicht einmal ein Rumpf sind wir, sondern zerstreute Totengebeine, 
gleich denen, die der Prophet Jeheskel in seiner Vision geschaut, 
Doch wisse, Gebieter der Chasaren, diese Gebeine, die noch immer 
voll Lebenskraft sind und die einst Mark und Herz, Geist und Ver 
nunft in sich faßten, sind mehr wert als die Bildwerke aus Stein 
und Kalk, die wohl mit Kopf, Augen, Ohren und anderen Gliedern 
ausgestattet sind, aber stets leb- und seelenlos waren und anders auch 
nicht sein konnten . . . Die toten Nationen, die der lebendigen (jüdi 
schen) Nation gleichkommen wollten, sind über äußerliche Nach 
ahmung nie hinausgekommen“. — Den Einwurf des Königs, daß die 
elende Lage der Juden ihre stolzen Reden Lügen strafe, pariert der 
Jude mit dem folgenden gewandten Gegenhieb: „Du verspottest uns 
also ob unserer Armut und Erniedrigung, während doch gerade das 
Leiden der Stolz aller Häupter dieser (der christlichen) Nationen ist. 
Verherrlichen sie denn nicht jenen, der gesprochen hat: ,So jemand 
dich auf die rechte Wange schlägt, reiche ihm auch die linke hin‘? 
Was mußte der, der dieses Wort gesprochen hat, nicht alles erdul 
den, ebenso seine Mitstreiter und alle, die im Laufe von Jahrhunder 
ten seine Anhänger waren, und doch sind sie die Zierde ihrer Völker! 
Ebenso hatten auch die Schöpfer der Lehren Ismaels (des Islam) und 
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