Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Juden Spaniens im XII. Jahrhundert 
372 
So steht denn auch das jüdische philosophische Denken im XII. 
Jahrhundert an einem Kreuzweg und betritt gleichzeitig die beiden 
auseinanderlaufenden Wege: den des Rationalismus und den der Tra 
dition. Während die einen für die Herrschaft der Vernunft in der Re 
gion des Glaubens kämpfen und zu beweisen suchen, daß zwischen 
reiner Religion und reiner Vernunft eine ungetrübte Harmonie be 
stehe, stellen die anderen diese Harmonie in Abrede und fordern die 
Anerkennung der Souveränität der Offenbarung, indem sie den 
Schwerpunkt der religiösen Weltauffassung in die Sphäre national- 
geschichtlicher Gefühlsregungen zu verlegen bestrebt sind. Die Reli 
gionsphilosophie spaltet sich in zwei scharf voneinander getrennte 
Sonderströmungen: in die universalistische und die nationale. Für die 
erste ist der Aristotelismus maßgebend, und zwar in der Form, in der 
er sich in der gesamten mittelalterlichen Theologie auszuwirken 
pflegte; die zweite zeichnet sich mehr durch Urwüchsigkeit aus und 
bedient sich der aristotelischen wie der (im Geiste des Gabirol auf 
gefaßten) platonischen Methoden nur als der Werkzeuge im Kampfe 
um den national-geschichtlichen Kern des Judaismus. Der nationalen 
Richtung erstand in der ersten Hälfte des XII. Jahrhunderts ein aus 
erlesener Vorkämpfer in der Person des Dichters Jehuda Halevi; da 
gegen sollte die universalistische oder rationalistische Richtung erst 
in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zur vollen Entfaltung kom 
men und ihren hervorragendsten Repräsentanten in der Person des 
großen Philosophen Maimonides finden. 
Sein philosophisches Werk schrieb Jehuda Halevi in der Zeit zwi 
schen ii3o und ii4o. Im arabischen Urtext trägt es den Titel „Euch 
der Reweise zur Verteidigung des gedemütigten Glaubens“, während 
es in der hebräischen Übersetzung „Chasarenbuch“ („Sefer Kusari“) 
betitelt ist. Das Euch ist in der Form eines Gespräches zwischen einem 
Chasarenkönig und einem gelehrten Juden gehalten und hat die letz 
ten Grundlagen aller Religion überhaupt und namentlich die des Ju 
daismus zu seinem Gegenstände. Der Verfasser benützte die bekannte 
Sage von der Rekehrung der Chasaren zum Judentum, modifizierte 
sie aber entsprechend der Disposition seines Dialogs. Ein heidnischer 
Chasarenfürst — heißt es in dem Werke —, den die Sehnsucht nach 
der einzig wahren, der Vernunftreligion, übermannt hatte, holte in 
seiner Gewissensnot zunächst den Rat eines Philosophen ein. Dieser 
suchte ihm im Geiste des Plato und des Aristoteles einen Regriff von
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.