Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 45. Abraham ihn Esra und Alcharisi 
gesiedelt waren), lebte er lange Zeit in den Städten Südfrankreichs 
(in Marseille, Lunel u. a.) und kann daher auch der Gruppe der pro- 
venzalischen Dichter zugezählt werden. Seine schriftstellerische Lauf 
bahn begann er mit Übersetzungsarbeiten, indem er Werke arabischer 
und griechischer Schriftsteller ins Hebräische übertrug. Sein Haupt 
werk auf diesem Gebiete war die Übersetzung der poetischen „Ma- 
kamen“ oder Novellen des arabischen Dichters Hariri. Nach diesem 
Vorbild verfaßte Alcharisi später auch selbst „Makamen“, die er dann 
unter dem Titel „Tachkemoni“ zu einem Buche zusammenfaßte. In 
den fünfzig Abschnitten dieses Buches, das einen bunten Kranz von 
Prosa und Poesie darstellt, berichtet der Dichter in unterhaltender 
und ansprechender Form über seine Wanderungen und seine 
Abenteuer in aller Herren Ländern, wobei er in seine Erzäh 
lung bald kunstvoll erdichtete Episoden, bald belehrende oder 
humorvolle Charakteristiken verschiedener Menschenarten, bald die 
Literatur betreffende Bemerkungen einflicht. Unter anderem ver 
stand es Alcharisi, die führenden Geister der vorangegangenen 
Dichtergenerationen, so Gabirol, Jehuda Halevi, Moses ibn Esra 
u. a. mit großer Treffsicherheit zu charakterisieren. Sein eigenes 
Schaffen kennzeichnet aber bereits den Anfang vom Ende der 
hebräischen Dichtkunst in Spanien. Er ist mehr ein stilistisch 
gewandter Versemacher als ein Dichter. Übrigens zählt er sich selbst 
bescheiden zu den Epigonen, die vom Tische der großen Vorgänger 
nur armselige Brocken aufzulesen vermögen: „Nach dem Ableben 
des Salomo (Gabirol), der die Königskrone der Dichtkunst trug, ihres 
Fürsten Abraham (ibn Esra), ihres Feldherrn Jehuda (Halevi) und 
ihres Propheten Moses (ibn Esra) ist der Urquell des Liedes versiegt, 
die Zeit des Ruhmes dahin, der Engel Gottes entschwunden. Nie mehr 
sind solche Sänger erstanden, nie mehr solche Lieder erklungen. Wir 
aber lesen nur die von ihnen zurückgelassenen Ähren zusammen, ver 
folgen ihre Spur und können sie doch nicht einholen. Die älteren Ge 
nerationen nährten sich von kleiefreiem Mehl, uns aber ist nur die 
mehlfreie Kleie übriggeblieben“ („Tachkemoni“, Kap. 18). An einer 
anderen Stelle (Kap. 5o) klagt er darüber, daß mit den alten Dich 
tern auch die früheren Mäzene ausgestorben seien: „Salomo, Jehuda 
und Moses fanden freigebige Männer, die ihnen ihre Perlen abkauf 
ten, ich aber bin in einer Zeit geboren, da alle Gönner vom Erdboden 
verschwunden sind; jene überquerten paradiesische Flüsse, ich aber 
24 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
369
	        
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