Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Juden Spaniens im XII. Jahrhundert 
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boren in Toledo, hielt er sich gleich Jehuda Halevi längere Zeit in 
Cordova und in anderen Städten des arabischen Spaniens auf. Sein Le 
bensweg war überaus dornenvoll. Er übte keinen bestimmten Beruf 
aus und seine nur von zufälligen Gönnern unterstützte schriftstelle 
rische Tätigkeit vermochte ihn nicht immer vor bitterer Not zu be 
wahren. Er selbst schildert sich als ein Sorgenkind des Lebens: „Was 
ich auch beginnen mag, — klagt er in einem seiner Gedichte — alles 
schlägt fehl, denn mein Unstern (das Horoskop) verfolgt mich mein 
Leben lang. Hätte ich Leichentücher feilgeboten, so wäre wohl Zeit 
meines Lebens kein Mensch gestorben, hätte ich mit Kerzen gehan 
delt, so wäre bis zu meinem Todestage die Sonne wohl nie unter ge 
gangen“. In der zweiten Hälfte seines Lebens durchzieht er mit dem 
Wanderstab in der Hand rastlos die ganze Welt, um erst im Grabe 
Ruhe zu finden. Fast gleichzeitig mit Jehuda Halevi (um n38) be 
gibt er sich nach dem Morgenlande, doch ist uns über seine dortigen 
Erlebnisse nur sehr wenig bekannt. Mit reicher Lebenserfahrung und 
großen Wissensschätzen kehrt er nach Europa zurück und läßt sich 
in Rom nieder. Die italienischen Juden erfreuten sich um jene Zeit 
eines verhältnismäßig hohen Wohlstandes, standen aber auf einer 
noch ziemlich niedrigen Kulturstufe. Die Anwesenheit des Ihn Esra 
wirkte auf das dortige geistige Leben überaus anregend. Es fanden 
sich reiche Mäzene, die sich des spanischen Wanderers in jeder Weise 
annahmen. Doch hielt er es auch hier nicht lange an einem Orte aus: 
im Laufe von fünfzehn Jahren wechselte er mehrmals seinen Wohn 
sitz und zog von Rom nach Salerno, dann nach Mantua, von dort 
nach Lucca. Überall versammelte er wißbegierige Jünger um sich, 
die voll Begeisterung den wissenschaftlichen und philosophischen Of 
fenbarungen des hochgelehrten „Sephardi“ lauschten, um sie dann 
in weitere Kreise der italienischen Judenheit zu tragen. In Italien 
schrieb Abraham ibn Esra den größten Teil seines Hauptwerkes, eines 
Bibelkommentars, nieder und legte so einen Grundstein für die wis 
senschaftliche Erforschung des biblischen Schrifttums. Der Wander 
weg dieses Apostels des Wissens war aber noch lange nicht zu Ende. 
Im Jahre n55 siedelte er aus Italien nach Südfrankreich, nach der 
Provence, über und knüpfte persönliche Beziehungen zu den dortigen 
jüdischen Gelehrten an. Im Jahre n58 treffen wir ihn in London, 
wo er von der reichen jüdischen Kolonie mit größter Verehrung emp 
fangen wird, und zwei Jahre später sehen wir ihn wieder in Nar-
	        
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