Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Periode der Kolonisierung 
sich Theodorich nicht aus besonderem Wohlwollen für die jüdischen 
Interessen ein, sondern lediglich aus dem Bestreben heraus, die 
Ordnung im Lande zu wahren und den Fanatismus der auch dem 
arianischen Könige wenig gewogenen Katholiken im Zaume zu hal 
ten. Überdies gaben sich die Staatsmänner jener Zeit noch immer 
der unbegründeten Hoffnung hin, die von den Juden in Sachen 
des Glaubens bekundete Hartnäckigkeit würde durch Überredungs 
künste und Ermahnungen schließlich doch überwunden werden kön 
nen. So wurde der Minister des Theodorich, Cassiodor, gegen Ende 
seines Lebens, als er sich ins Kloster zurückzog, zum Verfasser von 
Kommentaren zu den Psalmen, in denen er offenkundige Anspie 
lungen auf Christus zu entdecken vermeinte, aus welchem Anlaß er 
den Juden zum Vorwurf machte, daß sie ihre eigenen heiligen Schrif 
ten mißverstanden hätten. In dem gleichen Tone, dessen er sich frü 
her in den Dekreten befleißigt hatte, polemisierte er jetzt gegen die 
Juden in seinen Bibelkommentaren: „Hört, o Judäer, vernehmt, ihr 
Verstockten, was der Psalmensänger Assaph über das Erscheinen 
Christi verkündet! Wen betet ihr an, wenn ihr euch nicht einmal 
die Worte eurer Propheten zu Herzen nehmt? Geht doch zu den 
katholischen Hirten hin: sie werden eure Ohren auftun und ihr 
werdet dann mit Gottes Hilfe von eurer ewigen Taubheit errettet 
werden!“ Neben solchen Argumenten wimmeln die Schriften des Gas 
siodor auch von gemeinsten Beschimpfungen: so sind ihm die Ju 
den bald „Skorpione“, bald „Wildesel“, bald einfach „Hunde“. 
Diese kirchlichen Predigten und all die Bezichtigungen der Glau 
benseiferer ließen jedoch die Juden kalt, um so mehr als der Staat 
ihnen in der Praxis persönliche Sicherheit, Gewerbefreiheit, ja so 
gar die Gemeindeautonomie gewährleistete. So ging es ihnen denn 
unter der Herrschaft der Ostgoten im allgemeinen nicht schlecht. 
Um diese Zeit eben erblühten die jüdischen Gemeinden in Mailand,, 
Ravenna, Verona, Genua und anderen Städten Oberitaliens, wohin 
sich inzwischen das politische Zentrum des Landes verschoben hatte. 
Einen großen Aufschwung nahmen auch die viel älteren jüdischen 
Siedlungen im Süden, in Neapel und in den Städten Siziliens. So ist 
es nur begreiflich, daß sich der Juden in dem Moment, als die ost 
gotische Dynastie vor ihrem Sturze stand und der allgewaltige by 
zantinische Kaiser Justinian gegen Italien vorrückte, um die ketzeri 
schen Goten von dort zu verjagen, die größte Unruhe bemächtigte. 
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