Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Periode der Kolonisierung 
tigten, glaubte nämlich die Regierung des Honorius den Juden grö 
ßeres Entgegenkommen zeigen zu müssen, wohl aus dem Grunde, 
um in einer für das Reich so prekären Lage keine neuen Feinde im 
Innern des Landes groß zu züchten. So erging denn in diesen Jah 
ren eine ganze Reihe von Dekreten, die den Juden allerlei Frei 
heiten gewährten. Es wurde vorgeschrieben, die Juden „an dem für 
sie heiligen Sabbattage“ weder zur öffentlichen Dienstpflicht her 
anzuziehen, noch sie vors Gericht zu zitieren, da auch die anderen 
Wochentage Zeit genug dafür böten. Auch das Gesetz über die Un 
antastbarkeit der Synagogen und über den dem jüdischen Gottes 
dienst zu gewährenden Schutz wurden erneut bestätigt. Die Juden 
durften jetzt wieder den Advokatenberuf ausüben. Die bis dahin be 
stehende Vorschrift, wonach die Juden keine christlichen Sklaven 
besitzen durften, wurde aufgehoben, mit dem einzigen Vorbehalt, daß 
die Herren diese Sklaven bei der Ausübung der kirchlichen Riten 
nicht behindern sollten 1 ). 
Die mildere Behandlung der Juden hing, wie bereits angedeutet, 
mit der damaligen kritischen Lage des weströmischen Reiches zu 
sammen. In die Regierungszeit des Honorius fallen nämlich die viel 
fachen Einbrüche der germanischen „Barbaren“ in Italien und in 
die Rom untertänigen Gebiete Galliens und Spaniens; man war ge 
zwungen, die Anführer der einbrechenden Banden durch Gold zu 
beschwichtigen, und war so auf die Unterstützung aller Bevölkerungs 
schichten angewiesen. Allein das im Inneren zerrüttete Reich war 
nicht mehr zu retten. So zog denn im Jahre l\io der Kriegsherr der 
Goten Alarich in Rom ein und überließ die Stadt seinen plündern 
den Kriegern, wobei auch die Juden nicht wenig zu leiden hatten. 
Den Berichten eines byzantinischen Chronisten zufolge soll Alarich 
unter anderem einen Teil jener Schätze entwendet haben, die einst 
mals aus dem Jerusalemer Tempel nach Rom verschleppt worden 
waren. Die Trauer um den Fall de,r „ewigen Stadt“, der Metropole 
des Christentums, brachten die Kirchenväter Hieronymus und Augustin 
in elegischen Ergüssen zum Ausdruck, deren Bildersprache lebhaft 
an den Stil der biblischen Jeremiaden erinnert „Erloschen ist die 
helle Leuchte des Erdenrunds“, ruft voll Kummer Hieronymus aus, 
der um jene Zeit im judäischen Bethlehem lebte. „Bezwungen ist 
■*■) God. Theod. II, 8, 26, und XVI, 8, 20 (Dekrete vom Jahre 409 u. 4*2); 
XVI, 8, 24 (4i8); XVI, 9, 3 (4i5).
	        
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