§ 29. Das Chasarenreich
255
doch wurde die russische Flotte durch das „griechische Feuer“ ver
nichtet, worauf der Rest des Russenheeres die Flucht ergreifen mußte.
Im Jahre 944 kam es zu einem zweiten Kriegszug gegen Zargrad, der
erfolgreicher als der erste war und mit dem berühmten griechisch
russischen Vertrag endete. Zehn bis fünfzehn Jahre nach diesen Er
eignissen berichtet uns der chasarische König Joseph selbst über den
weiteren Verlauf der Dinge in seinem Reiche. Als Antwort auf das
Schreiben des von der Kunde über das Restehen eines „jüdischen Rei
ches“ tief ergriffenen spanischen Ministers Chasdai ibn Schaprut
(§ 2 3) ließ ihm nämlich Joseph im Jahre 960 eine schriftliche
Antwort zukommen, in der er aufs eingehendste die Lage der Cha-
saren in Vergangenheit und Gegenwart schildert. Nach dem oben be
reits wiedergegebenen Bericht über die Bekehrung des Königs Bulan
folgt in dem Schreiben des Joseph eine Aufzählung der Namen sei
ner Vorgänger, die seit ihrem Übertritt zum Judentum den Titel eines
Chägan führten; es waren dies: Obadja, Hiskia, Manasse, Chanuka,
Isaak, Sebulon, Moses, Nissi, Menachem, Benjamin, Aaron und
schließlich der Verfasser des Briefes selbst, Joseph. Des weiteren teilt
er mit: „Unser Land ist an dem Fluß (Itil, d. i. Wolga) gelegen, der
sich in der Nähe des Dschordschanmeeres (des Kaspischen) befindet
und seiner Länge nach einer Entfernung von vier Monatsreisen ent
spricht 1 ). An dem Flusse leben viele Stämme in Städten und Dörfern,
in ungeschützten und auch in befestigten Ortschaften. Hier ihre Na
men: Burtas, Bulgar, Suwar, Arissu, Zarmis, Wentit, Ssjewer (Ssje-
werjanen), Slaviun (Slawen). Jeder der Stämme ist überaus menschen
reich, und sie alle sind mir tributpflichtig. Von dort aus verläuft die
Grenzlinie bis zum Dschordschan, dessen Küstenbewohner, die in einer
Entfernung von einer Monatsreise leben, mir insgesamt tributpflich-
D Als Parallele lassen wir hier die in dem fragmentarischen Brief des cha-
sarischen Juden gegebene Landesbeschreibung folgen: „Unser Land heißt Arkanos
(Hyrkanien — eine alte griechische Bezeichnung für das Kaspigebiet). Der Name
der Königsstadt ist Kozar. Der das Land durchfließende Strom heißt Itil und
ist rechter Hand von dem Meere jenes Landes gelegen, durch das deine Send
boten (die Boten des Chasdai aus Cordova) nach Konstantinia (Konstantinopel)
gelangt sind. Ich vermute, daß dieses Meer eine Fortsetzung des Großen Meeres
(des Mittelmeeres) bildet. Unsere Hauptstadt (Medina) ist von jenem Meere 2160
Ris entfernt. Die Entfernung zwischen unserem Reiche und Konstantinia beträgt
9 Tagereisen zu Meere und 28 zu Lande. Der gesamte Herrschaftsbereich meines
Herrn beträgt aber 5o Tagereisen. Und dies sind die Völker, die uns bekriegen:
Asia (die Byzantiner Kleinasiens?), Bab-al-Abwab (Derbent in Kaukasien), die Se-
bussen, Türken und Lusinen“.