Die Kolonien im östlichen Europa
benregent (Bek, Pech oder „Ischa“) stand. Alle Mitglieder der Regie
rung und der gesamte Adel bekannten sich zum Judentum, während
in den mittleren und niederen Bevölkerungsschichten der Islam, das
Christentum und auch das Heidentum verbreitet waren. Ungeachtet
dessen, daß die privilegierten Klassen der jüdischen Religion anhin
gen, wurde doch die Gleichberechtigung aller Konfessionen in keiner
Weise angetastet. So standen dem Chagan sieben Richter zur Seite,
je zwei für Juden, Christen und Muselmanen und einer für die Hei
den (nach einer anderen Version sollen es im ganzen neun Richter
für alle Gruppen gewesen sein). Dank seiner günstigen Lage zwischen
Ost und West gelangte das Land zu hohem wirtschaftlichen Wohl
stand. Durch das Chasarenreich führte nämlich einer jener großen
Handelswege, die Asien mit Europa verbanden. Der arabische Geo
graph des IX. Jahrhunderts Ibn Chordadbe erwähnt in seinem „Buch
der Straßen“, daß die jüdischen Kaufleute aus Persien, Armenien und
dem Kaukasus „durch das Land der Slawen in der Nähe der Cha-
sarenhauptstadt“ (an der Wolga) zu reisen pflegten, wobei ihr Weg
zum Teil über das „Meer Dschordschan“ (Georgisches, d. i. Kaspi
sches Meer) führte. Sein Zeitgenosse Ibn Scharsi berichtet in seinem
„Buch der Länder“, daß die „vom Chasarischen zum Rumischen (vom
Kaspischen zum Schwarzen) Meere“ Rauchwaren transportierenden
slawischen Kaufleute auf ihrem Wege einen Handelspunkt in der
„jüdischen“ Stadt Samkersch berührten, der auf der Halbinsel Ta
man, in der Gegend des ehemaligen Bosporus (Kertsch), gelegen war.
Die wichtige Rolle, die die Juden in dem damaligen internationalen
Handelsverkehr spielten, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß
sie an dem ganzen, von Persien über den Kaukasus nach der Krim
und dem Kiewschen Rußland führenden Wege entlang überall ver
streut waren.
Gegen Ende des IX. Jahrhunderts erfuhr die jüdische Bevölkerung
im Chasarenlande eine bedeutende Vermehrung durch Auswanderer
aus Byzanz, die vor den Verfolgungen des Kaisers Basilius des Mace-
doniers im neuentstandenen Reiche Schutz suchten. Die vor dem Tauf
zwang geflüchteten Neuankömmlinge trugen in die ihnen stammesver
wandten Kolonien den Geist der Empörung gegen die byzantinischen
Despoten hinein, was die Feindseligkeit zwischen den jüdischen Ge
bietern des Landes und dem Hofe von Konstantinopel noch mehr ver
schärfen mußte. So ist denn die erste Hälfte des X. Jahrhunderts in
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