Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 29. Das Chasarenreich 
sagen wird jedoch die Bekehrung der führenden Schicht des Cha- 
sarenvolkes zum Judentum als ein einmaliger, in aller Feierlichkeit 
vollzogener Akt geschildert. Eine alte chasarisch-jüdische Überliefe 
rung, die in der Hauptsache auch bei den arabischen Schriftstellern 
Bestätigung findet, weiß darüber folgendes zu berichten: 
Der chasarische König oder Chagan Bulan war gesonnen, dem 
Götzendienst zu entsagen, schwankte jedoch noch in der Wahl der 
neuen Religion. Die Sendboten des Kalifen suchten ihn für den Islam 
zu gewinnen, die byzantinischen Gesandten rühmten die Vorzüge des 
Christentums, die jüdischen Weisen die des Judentums. Hierauf ver 
anstaltete Bulan eine Disputation zwischen den Vertretern der drei 
Religionen, vermochte aber aus ihren Reden und Gegenreden keinen 
bestimmten Schluß zu ziehen. Da verfiel der König auf den folgenden 
schlauen Ausweg. Er berief den Christen und den Muselmanen einzeln 
zu sich und fragte zunächst den Christen: Wenn du zwischen der jü 
dischen und der muselmanischen Religion wählen müßtest, für welche 
von beiden würdest du dich dann entscheiden? — „Selbstredend für 
die jüdische, erwiderte der Christ, denn sie wurde einem von Gott er 
wählten Volke zuteil, das erst später seiner Sünden wegen verstoßen 
wurde“. Sodann fragte der König den Muselmanen, welcher Religion 
denn er, abgesehen vom Islam, den Vorzug geben würde: der jüdi 
schen oder der christlichen, worauf jener die gleiche Antwort gab wie 
der Christ und dazu noch bemerkte, daß der christliche Glaube ins 
besondere aus dem Grunde als verwerflich anzusehen sei, weil er 
Unreines (Schweinefleisch) zu genießen und Werke von Menschen 
hand (Heiligenbilder) anzubeten gestatte. Nun bestellte Bulan alle ins 
gesamt von neuem zu sich, und nachdem er den Christen und den 
Muselmanen ihre Äußerungen vor allen wiederholen ließ, erklärte er: 
„Wenn sogar der Christ und der Mohammedaner zugeben müssen, 
daß die israelitische Religion die altehrwürdigste ist, so kann ich nicht 
umhin, mich für den Glauben Israels zu entscheiden, für ihn, der der 
Glaube Abrahams war“. So kam es, daß sich der Chasarenkönig zum 
Judentum bekehrte, und seinem Beispiel folgten sogleich auch viele 
der chasarischen Vornehmen. Die jüdische Sage fügt noch hinzu, 
daß einer der Nachkommen Bulans, der Chagan Obadja, sich nament 
lich um die weitere Verbreitung des Judentums verdient gemacht 
hätte. So hätte er aus anderen Ländern (Babylonien?) jüdische Ge 
lehrte berufen und das Volk in der Bibel und im Talmud unterweisen 
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