Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 2. Die ersten Siedlungen in Italien 
z. B. „Maler“, „Fleischer“ u. dgl. vor), dagegen wird seine Stellung 
in der Gemeinde, sein Rang in der Selbstverwaltungshierarchie beson 
ders sorgsam hervorgehoben. Der Archontentitel scheint so verlockend 
gewesen zu sein, daß Eltern in den Grabschriften manchmal sogar 
ihre minderjährigen Kinder als Anwärter auf die ehrenvolle Stellung 
(archon nepios, mellarchon) mit diesem Titel zu schmücken pflegten. 
Betont wurde auch die Gelehrsamkeit, die Kenntnis des Gesetzes: 
didascalos, nomomathes, mathetes sophon. (Der letztere Ausdruck be 
deutet: „Jünger der Weisen“ und ist eine buchstäbliche Übersetzung 
der talmudischen Wendung: Talmid Chacham.) 
Außer in Rom bestanden jüdische Siedlungen seit den ersten christ 
lichen Jahrhunderten auch in vielen Städten Süditaliens, das mit dem 
Welthafenplatz, dem griechisch-jüdischen Alexandrien, durch Han 
delsbeziehungen verbunden war. In dem ältesten Handelshafen Italiens, 
in der Stadt Puteoli (das heutige Puzzuoli in der Campagna) bestand 
eine jüdische Gemeinde schon zur Zeit Herodes I. und seiner Nach 
folger, wie dies uns von dem Geschichtsschreiber Josephus Flavius, 
der seine Werke in Rom selbst niederschrieb, überliefert ist 1 ). Auf 
einer der in Puteoli entdeckten Grabschriften wird eine Jüdin „Clau 
dia-Aster, eine Gefangene aus Jerusalem“ (hierosolymitana captiva) 
genannt. In den folgenden Jahrhunderten treffen wir jüdische An 
siedlungen auch in Apulien und Calabrien, wo gegen Ende des 
IV. Jahrhunderts die Juden bereits hohe Ämter in der Stadtverwaltung 
bekleideten. Die Weigerung vieler Juden, ihren mit großen Aufwen 
dungen und mit der Verletzung der Sabbatruhe verbundenen ehren 
amtlichen Pflichten nachzukommen, wird in einem Erlaß der Kaiser 
Arcadius und Honorius (398) als die Ursache der Zerrüttung der 
städtischen Wirtschaft in manchen Städten ausdrücklich hervorgeho- 
ben 2 ). In der apuleischen Stadt Venosa (Venusia) bestanden um jene 
Zeit, ebenso wie in Neapel, Tarent und Capua, bedeutende jüdische 
Gemeinden, über die uns neben den Grabschriften zum Teil auch 
christliche Chroniken Auskunft geben. In den in Venosa entdeckten 
jüdischen Katakomben von der Art der römischen haben sich viele 
aus dem VI. und den folgenden Jahrhunderten stammende Grab 
schriften in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache er 
halten. Die in hebräischer Sprache abgefaßten Inschriften oder 
1 ) Bell. Jud. II, 7, 1; Antiquit. XVII, 12, 1. 
2 ) Cod. Theod. XII, 1, i58. 
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