Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

184 
Italien und Byzanz (VIII—XI Jahrh.) 
ehern“ sowie aus manchen sonstigen allgemeingeschichtlichen Quel 
len und gab diesen ganzen Stoff in einem wohlgepflegten Hebräisch 
wieder. Als den Verfasser des Buches bezeichnete er Joseph ben Go- 
rion, statt des tatsächlichen Autors Flavius, der mit seinem hebräi 
schen Namen Joseph ben Mattathias hieß (der Kompilator dürfte 
den Geschichtsschreiber mit dem im Originaltext des „Jüdischen 
Krieges“, Buch II, Kap. 20, § 3, erwähnten Jerusalemer Volksfüh 
rer verwechselt haben). So entstand das Buch, das bald unter dem 
Titel „Josippon“ („Kleiner Josephus“) überaus volkstümlich wurde. 
Obwohl der anonyme Verfasser im großen und ganzen seiner Ur 
quelle, sogar in ihren tendenziösen Teilen, treu folgt, z. B. in der 
negativen Charakteristik der patriotischen Zeloten, die ihm, ebenso 
wie Josephus, als gemeine Banditen (Parizim) gelten, verrät er den 
noch in seinen zahlreichen Einfügungen nur zu oft die späte Ent 
stehungszeit der von ihm durchgeführten Kompilation. So fallen in 
den ersten Kapiteln, in denen ein Register der Völker und Reiche 
enthalten ist, die Namen der neuen europäischen Länder und Stämme 
auf (Franken, Burgunder, Alemannen, Chasaren, Bulgaren, Ungarn, 
Russen u. dgl. m.). Besondere Aufmerksamkeit wendet der Verfas 
ser dem legendären Teil der Geschichte sowie der Topographie der 
Stadt Rom zu, bei deren Behandlung er offenbar die um jene Zeit 
entstandene „Schilderung der goldenen Stadt Rom“ (Graphia aureae 
urbis Romae) in ausgiebigster Weise benützte. In aller Ausführlich 
keit schildert er die Zeremonie der Krönung der römischen Kaiser, 
wobei ihm als Vorbild die Krönungsfeierlichkeiten zu Ehren des 
deutsch-römischen Kaisers Otto I. (962) vorschweben mochten. Zur 
Bezeichnung der Geldwerteinheiten verwendet er ferner die damaligen 
italienischen Münzenbenennungen. Die geschickte Darlegungsweise, 
die leichtverständliche Sprache, die schönen Reden und Belehrungen, 
die der Autor auch unabhängig von der Rhetorik des Josephus Fla 
vius den handelnden Personen in den Mund legt — all dies mußte 
die Lektüre des „Josippon“ zu einem wahren Genuß machen, und so 
erwarb sich denn das Buch auch die größte Volkstümlichkeit. Schon 
im XI. Jahrhundert wurde es in Spanien ins Arabische übersetzt. Gleich 
nach dem Aufkommen der Buchdruckerkunst wurde der „Josippon“ 
in zwei verschiedenen Redaktionen verlegt: in einer gekürzten (Man 
tua, i48o) und in einer vollständigen (Konstantinopel i5io), worauf
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.