Italien und Byzanz (VIII—XI Jahrh.)
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Stadt von der Seuche erlösen. Der Mönch willigte ein, allein nur
unter der Bedingung, daß „die die Stadt durch ihre religiösen
Bräuche schändenden Juden“ von dort vertrieben werden. Die Grie^-
chen wiesen denn auch die Juden aus Sparta aus, worauf der Mönch
sein „Wunderwerk“ der Errettung nicht länger hinausschob. Nur
einer unter den Griechen namens Ara tos war über das Verhalten des
Nikon entrüstet und erklärte, daß man eigentlich den Mönch, nicht
aber die Juden hätte ausweisen müssen. Kurz darauf brachte Aratos
einen jüdischen Meister, einen ihm unentbehrlichen Stoffärber,
mit sich in die Stadt. Der darüber erboste Fanatiker Nikon
stürzte sich mit einer Keule in der Hand auf den Juden, wurde aber
von Aratos zurückgestoßen und mußte, über die Juden und deren
Verteidiger noch mehr erbittert, das Feld räumen. Dieser Erzählung
wohnt zweifellos eine gewisse symbolische Bedeutung inne: zwar
blieb der judenfeindlichen Agitation der Geistlichkeit der Erfolg
mitunter nicht versagt, doch besaß sie nicht die Kraft, die bestehende
Wirtschaftsordnung, in der die Juden eine so wichtige Rolle spiel
ten, von Grund aus zu erschüttern. Ungeachtet der vielen zu über
windenden Hindernisse lebten die Juden nach wie vor in allen Städten
Griechenlands und der übrigen Teile der Balkanhalbinsel wie auch
in den byzantinischen Landgebieten Kleinasiens, wo sie sich in her
vorragendster Weise an der Industrie, besonders an der Fabrikation
von Seidenstoffen, beteiligten; zugleich verstanden sie es, ihr Ge
meindeleben überall auf festen autonomen Grundlagen aufzubauen.
So konnte denn der jüdische Reisende des XII. Jahrhunderts, Ben
jamin von Tudela, im byzantinischen Reiche ein weit ausgedehntes
Netz solcher organisierter Gemeinden vorfinden, die alle eine durch
aus arbeitsfreudige und wohlhabende Bevölkerung hatten (unten,
§ 53).
§ 21. Die geistige Kultur in Italien und Byzanz
In kultureller Hinsicht bildeten die jüdischen Kolonien der beiden
südeuropäischen Halbinseln in dieser Epoche gleichsam ein ein
heitliches Ganzes. Das unter byzantinischer Gewalt stehende Süd
italien war das natürliche Bindeglied zwischen der romanischen und
der griechischen Kultur. Die Juden, die in der Lombardei und in
Rom italienisch sprachen, bedienten sich in Apulien auch der griechi
schen Sprache, in Sizilien aber der arabischen, während in Macedonien,