Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 19. Süditalien unter den Byzantinern, Arabern und Normannen 
len der Kirche in die Arme zu führen, machte sich nämlich auch hier 
in empfindlicher Weise fühlbar. So geriet eines Tages auch der Bru 
der des Schefatia, der Gelehrte Chananel, in einen Konflikt mit dem 
Bischof von Oria. Einst, während einer religiösen Disputation im bi 
schöflichen Palast, fragte der Bischof Chananel, an welchem Tage 
und zu welcher Stunde seiner Berechnung nach die nächste Neu 
mondphase eintreten würde. Der Befragte irrte sich in seiner Auf 
stellung und gab ein falsches Datum an. Der Bischof hingegen, der 
in der Kalenderwissenschaft wohl bewandert war, vermochte die 
Stunde der „Mondgeburt“ mit aller Genauigkeit anzugeben, und so 
trat er an seinen Widerpart mit dem folgenden Vorschlag heran: 
„Wenn sich meine Berechnung als zutreffend erweist, so sollst du 
verpflichtet sein, zu meinem Glauben überzutreten, wird hingegen 
deine Aufstellung Bestätigung finden, so bin ich gern bereit, dir 
mein edelstes Roß zu übereignen oder dessen Geldwert zu erstatten“. 
Der Vorschlag wurde angenommen, und man stellte Wachen auf den 
Türmen auf, die das Sichtbarwerden des Mondes signalisieren sollten. 
Nach Hause zurückgekehrt, überzeugte sich Chananel von der Feh 
lerhaftigkeit seiner Berechnung und geriet in größte Verzweiflung: 
stand ihm doch bevor, dem Glauben seiner Väter die Treue zu bre 
chen. Auch die ganze jüdische Gemeinde war von Entsetzen erfüllt. 
Der unglückliche Gelehrte flehte unaufhörlich zu Gott, und siehe da! 
— so berichtet die Familienüberlieferung —, sein Gebet wurde erhört. 
Gerade in dem Augenblick, als der Mond, der zutreffenden Berech 
nung des Bischofs gemäß, am Firmament erscheinen mußte, bedeckte 
sich der Himmel mit dichten Wolken und das Gestirn wurde erst am 
folgenden Abend, in Übereinstimmung mit der Aufstellung des Cha 
nanel, sichtbar. So ward denn der Gerechte gerettet. Der Bischof be 
rief ihn darauf zu sich und sprach zu ihm: „Du weißt selbst, daß 
meine Berechnung die richtige war, allein was soll man mit dir, dem 
Liebling Gottes, anfangen?“ Hierauf händigte er Chananel dreihun 
dert Goldstücke, den Geldwert des Pferdes, ein, die der fromme Ge 
lehrte sogleich unter die Armen verteilte. 
Der Sohn des Schefatia, Amitai II., war ebenfalls Gemeindeober 
haupt und zugleich Rektor der Jeschiba von Oria. Er verfaßte auch 
religiöse Hymnen und insbesondere Elegien, die anläßlich der Fa 
milientrauerfeiern vorgetragen zu werden pflegten. Es ist wohl mög 
lich, daß er und nicht sein gleichnamiger Großvater jener „Paitan“ 
i65
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.