Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Italien und Byzanz (VIII—XI Jahrh.) 
weitgehenden Autonomie, die ihnen auch später, unter der Herrschaft 
der Normannen, erhalten blieb. Die engen Beziehungen, die Sizilien 
einerseits mit Ägypten und Nordafrika und andererseits mit dem 
byzantinischen Teil Italiens verbanden, hatten zur Folge, daß die dor 
tige jüdische Kolonie zu einer Mittlerin zwischen östlicher und west 
licher Kultur wie auch zwischen den in allen Teilen der Alten Welt 
gelegenen Industriezentren wurde. 
Über das damalige Leben der Juden in Süditalien erfahren wir 
manches aus einer jüngst auf gefundenen Familienchronik, die den 
Zeitraum zwischen dem IX. und der ersten Hälfte des XI. Jahr 
hunderts umfaßt 1 ). Es wird hier die Geschichte einer Familie er 
zählt, die in dem den Byzantinern Untertanen Apulien, in der Stadt 
Oria, heimisch war, wo von alters her eine jüdische Gemeinde be 
stand. Der Stammvater der Familie, Amitai, der um 85o lebte, wird 
als Gelehrter und „Paitan“, d. i. als Verfasser liturgischer Hymnen, 
gekennzeichnet. Er hatte drei Söhne, von denen zwei, Schefatia und 
Chananel, samt ihren Nachkommen eine wichtige Rolle in dem po 
litischen Leben jener Zeit spielten. Das Oberhaupt der Gemeinde von 
Oria, Schefatia, erwarb sich hohen Ruhm sowohl durch seine Wirk 
samkeit im öffentlichen Leben des byzantinischen Italien als auch 
dadurch, daß er, dank seinem Einfluß am Konstantinopeler Hofe des 
Kaiser Basilius I. (867—886), die heimatliche Gemeinde vor dem 
über die anderen jüdischen Gemeinden von Byzanz hereingebrochenen 
schweren Unheil zu bewahren vermochte (unten, § 20). Unter ande 
rem erlebte er auch den von den Arabern von Sizilien aus unternom 
menen Einfall nach Kalabrien und Apulien, der schließlich zu der 
Besetzung des wichtigsten Hafens Süditaliens, der Stadt Bari, führte. 
Bei den darauf erfolgten Unterhandlungen zwischen dem byzantini 
schen Statthalter und dem arabischen Feldherrn trat Schefatia als 
Vermittler auf. Bald verließen die Araber Apulien, und die jüdischen 
Gemeinden wurden nun von dem Ungemach der Kriegszeit erlöst, 
doch hatten sie von neuem unter dem byzantinischen Druck zu leiden. 
Der leidenschaftliche Drang des byzantinischen Klerus, jüdische See 
f) Das im Jahre io55 abgefaßte „Genealogische Register“ oder die „Fa 
milienchronik des Achimaaz“ (Megillath Juchassin, Megillath Achimaaz) ist in 
einer alten, in Toledo auf gefundenen Abschrift erhalten geblieben und von Neu 
bauer in seiner Sammlung mittelalterlicher Chroniken zuerst ediert worden (Me- 
üiaeval Jewish Chronicles II, m—i32. Oxford 1895). 
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