Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 19. Süditalien unter den Byzantinern, Arabern und Normannen 
die der Christen, der Juden und der Araber, und so fiel hier in dem 
bunten, aus Griechen, Italienern, Arabern und dann auch aus Nor 
mannen zusammengewürfelten Völkergemisch das jüdische Element 
bei weitem nicht so auf wie im Norden. Auf dem süditalienischen 
Festlande, in Zentren wie Neapel, Salerno, Bari, Otranto, Benevent, 
lösten byzantinische Statthalter, arabische Emire und deutsch 
italienische Herzoge immer wieder einander in der Herrschaft ab; 
die Tore waren hier sowohl nach Ost wie nach West weit geöffnet, 
und so konnten die dorthin drängenden jüdischen Massen gleichzeitig 
aus vielen Richtungen herbeiströmen. Über der dünnen Schicht der 
alteingesessenen jüdischen Bevölkerung, die von ihrer Umgebung 
nicht unbeeinflußt bleiben konnte, entstanden jetzt neue Schich 
ten, die den alten Kolonien das Rückgrat stärkten und der dort 
gepflegten nationalen Kultur neue Impulse brachten. Überaus be 
zeichnend für die neuen Verhältnisse ist der folgende Zug. In Venosa 
und in den anderen süditalienischen Städten, wo man bis dahin die 
Grabinschriften auf den jüdischen Friedhöfen durchweg in griechi 
scher oder lateinischer Sprache unter Einfügung vereinzelter hebräi 
scher Worte abzufassen pflegte (oben, § 2), beginnt man seit dem 
IX. Jahrhundert diese Inschriften fast ausschließlich mit einem he 
bräischen Text und mit Jahresdaten nach der nationalen, von der 
Zerstörung Jerusalems oder von der Weltschöpfung ihren Ausgang 
nehmenden Zeitrechnung zu versehen 1 ). Hierin kommt der ganze 
Kulturunterschied zwischen der Periode der Kolonisierung und der 
der Organisierung mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck: dank dem 
reichen Zufluß neuer Kräfte scheinen die jüdischen Gemeinden sich 
jetzt innerlich schon so weit konsolidiert zu haben, daß sie, obwohl 
sich die dortige jüdische Bevölkerung nach wie vor der Landesspra 
chen bediente, diese von dem legitimen Herrschaftsbereiche der na 
tionalen Sprache durchaus fernzuhalten wußten. 
In dichten Massen bevölkerten die Juden auch die Insel Sizilien, 
wo zweiundeinhalb Jahrhunderte lang (827—1071) die arabisch- 
berberischen Emire, die Vasallen der Sultane von Maghreb, und spä 
ter die ägyptischen Kalifen aus der Fatimidendynastie das Zepter 
führten. Hier fühlten sich die Juden ebenso ungehemmt wie im hei 
matlichen Osten. Die jüdischen Gemeinden in den Hauptstädten Si 
ziliens: in Palermo, Messina, Syrakus, Catania, erfreuten sich einer 
1 ) S. Anhang, Note 2.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.