Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 18. Rom und Norditalien 
Duldsamkeit behandle: Christen ständen in geschäftlicher Verbin 
dung mit ihnen, brächten ihnen Hochachtung entgegen und scheuten 
sich nicht, mit diesen „unseren heiligen Glauben verachtenden“ Leu 
ten gemeinsame Mahlzeiten abzuhalten. „Der Jude —- so ruft Ra- 
therius aus — glaubt meine Religion mißachten zu können, und wenn 
ich ihn deswegen auch nicht verprügeln darf, folgt denn daraus, daß 
ich mich mit ihm unbedingt küssen muß? Wer einen Juden hoch 
schätzt, kann nicht mehr als Christ gelten, denn wie könnte er seinen 
Gott lieben, wenn er zugleich dem Feinde Gottes Liebe entgegen 
bringt? Wer einen Menschen, der seinem König die Treue gebrochen 
hat, unbehelligt läßt, ist selbst ein Hochverräter. Ist es nicht genug, 
daß man den Juden in einem christlichen Lande leben läßt; wozu 
ihm noch Genuß und Lebensfreude verschaffen?“ Voll Empörung 
berichtet Ratherius über einen Vorfall in Verona, wo in der Hitze 
eines Wortstreites ein Jude und ein Priester aneinandergerieten, wor 
auf der Diener Gottes (wohl der Urheber des Streites) vom Richter 
einen Strafzettel erhielt, während der Jude frei ausging. Die Agita 
tion der Kirchenfanatiker in Italien scheint eben keinen rechten Er 
folg gehabt zu haben: noch waren die christlichen Seelen nicht ge 
nügend mit dem Gifte des Judenhasses infiziert. 
Um diese Zeit tauchte ein apokryphisches Buch auf mit dem 
Titel: „Eine Disputation zwischen Christen und Juden, die einstmals 
im Beisein des Kaisers Konstantin stattgefunden hat“. An der Dis 
putation sollen sich einerseits der im IV. Jahrhundert wirkende Papst 
Sylvester I. (von dem sich in der Tat Bruchstücke einer polemischen 
Abhandlung gegen die Juden erhalten haben) und andererseits zwölf 
jüdische Gelehrte beteiligt haben, die angeblich von dem „jüdischen 
Hohepriester“ (eine nach der Zerstörung des Tempels bekanntlich 
nicht mehr bestehende Würde) dazu beauftragt worden waren. Syl 
vester trägt, wie es kaum anders zu erwarten ist, über alle seine Wi 
dersacher, die der Reihe nach mit den schärfsten Ausfällen gegen 
das Christentum auftreten, einen entscheidenden Sieg davon, doch 
erscheint als höchste Instanz im Streite schließlich — ein Stier. Einer 
der jüdischen Wortführer, der Volksälteste Sambrius, ein gewiegter 
Zauberkünstler, soll nämlich den Wunsch geäußert haben, die Wahr 
heit des Judentums nicht durch leeres Geschwätz, sondern durch die 
Tat zu beweisen: „Möge man nursagte er — einen Stier herführen, 
und ich will ihn, ganz so wie es einstmals die Hohepriester bei der 
11 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
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