Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§17. Die Gelehrten von Lothringen und Raschi 
treibung oder dem Tode zum Scheine das Christentum annahmen, 
brachte er die größte Nachsicht entgegen. Auf die Frage, ob man 
solchen Täuflingen Geld auf Zinsen leihen dürfe, gab er einen ab 
schlägigen Bescheid mit der Begründung, daß, „obwohl der Getaufte 
sich versündigt hat, er doch Jude geblieben ist“. Auch gestattete er, 
ungeachtet des bezüglich des „heidnischen Weins“ (Jain nessech) 
grundsätzlich bestehenden Verbotes, den von ehemaligen Getauften 
zubereiteten Wein ohne Bedenken zu genießen. „Man soll — so 
schreibt Raschi — diese Leute nicht beschämen, denn was sie getan, 
haben sie unter des Schwertes Schneide getan; da sie nun bald davon 
(von dem christlichen Glauben) gelassen haben und zu uns zurück 
gekehrt sind, so darf man ihnen ihre Vergangenheit nicht zum Vor 
wurf machen“. Dabei berief er sich auch noch auf die obenerwähnte, 
durch den Zwischenfall in Mainz veranlaßte Anordnung des Rabbi 
Gerschom. 
Raschi selbst war es beschieden, eine viel schwerere, eine 
die gesamte Nation treffende Katastrophe mitzuerleben: er war ein 
leibhafter Zeuge des ersten Kreuzzuges und der mit diesem verbun 
denen Vernichtung der an den Rheinufern erblühten jüdischen Ge 
meinden (1096). „Wir dürfen nicht — so schreibt er in dieser 
grauenvollen Zeit — gegen das göttliche Gericht murren, obwohl die 
frevelhaften Missetäter uns unmittelbar bedrohen. Schon lange sind 
wir vor Schrecken wie erstarrt; nicht einmal im heilvollen Werke des 
Thorastudiums vermögen wir Trost zu suchen. Qualvoll ist unser 
Schmerz“. Die Volkssage will wissen, der Führer der französischen 
Kreuzfahrer, Gottfried von Bouillon, hätte vor seinem Aufbruch nach 
dem Morgenlande Raschi als einen heiligen Mann über den Ausgang 
des von ihm begonnenen Unternehmens befragt und von dem jüdi 
schen Weisen die folgende lakonische Antwort erhalten: „Zwar wirst 
du Jerusalem erobern, doch wirst du dort nur drei Tage lang herri 
schen und schon am vierten Tage durch die Muselmanen wieder ver 
trieben werden, um nur mit drei Rossen hierher zurückzukehren“. 
Der durch diese Antwort gereizte Gottfried soll darauf Raschi für den 
Fall, daß seine Weissagung sich nicht ganz erfüllen sollte, die här 
teste Strafe in Aussicht gestellt haben. Nach Jahresfrist näherte sich 
nun der Herzog in Begleitung dreier Reiter den Toren von Troyes, 
um seine Drohung wahrzumachen (da er ja mit vier Rossen heim 
kehrte). Bei seinem Einzug in die Stadt löste sich indessen ein großer
	        
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