Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

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§17. Die Gelehrten von Lothringen und Raschi 
zu der Mehrzahl der Traktate des babylonischen Talmud abgefaßten 
Kommentaren erläutert er in aller Kürze und in klarster und ein 
leuchtendster Weise sowohl die schwierigen Textwendungen, wie auch 
all die verzwickten Gedankengänge der alten Dialektiker. Durch eine 
einzige knappe Glosse gelingt es Raschi oft, die größten Schwierig 
keiten, die sich dem Verständnis des Textes entgegentürmen, mit 
Leichtigkeit hinwegzuräumen; er verfügte über die wunderbare 
Macht, das Komplizierte zu vereinfachen, das Dunkle zu durch 
leuchten und überall Ordnung und Klarheit zu stiften. Das Werk 
des Rabbi Gerschom weiter führend, ergründete er auch oft die 
einzig zutreffende, von den Kopisten arg verstümmelte Lesart des 
talmudischen Textes. Zwar standen ihm bei der Abfassung seines 
Werkes bereits die schriftlichen Kommentare der Gaonen zu einzelnen 
Talmudteilen, sowie die mündlichen Auslegungen seiner eigenen, der 
Schule des Rabbi Gerschom entstammenden Lehrer zu Gebote, doch 
stellte das allumfassende kommentatorische Werk des Raschi alle frü 
heren Schöpfungen dieser Art völlig in den Schatten. Dank diesem 
gemeinverständlichen Kommentar wurde es nunmehr möglich, den 
Talmud fast ohne jede fremde Hilfe zu studieren und ihn sogar in 
den Elementarschulen als Unterrichtsfach einzuführen. Mit gutem 
Rechte rühmten die Zeitgenossen Raschi nach, daß er es gewesen 
sei, der „den babylonischen Talmud vor Vergessenheit bewahrt“ 
habe. Ihm war es jedenfalls zu verdanken, daß der Talmud in den 
folgenden Jahrhunderten neben der Bibel zum wichtigsten Lehrmittel 
des Haus- und Schulunterrichts geworden ist. Die Kommentare des 
Raschi wurden von seinen Schülern zunächst als Randbemerkungen 
den betreffenden Talmudtraktaten hinzugefügt, um später in beson 
deren Heften („Contressim“) zusammengefasst zu werden, die dann 
in Abschriften Verbreitung in ganz Europa fanden. Daher die ur 
sprüngliche Bezeichnung des Raschi-Kommentars als „Contres“. Seit 
dem Aufkommen der Buchdruckerkunst wurde es üblich, diesen Kom 
mentar in allen Talmudausgaben neben den Text zu setzen. Heutzu 
tage gibt es keine einzige Ausgabe des babylonischen Talmud mehr, 
in der der Grundtext nicht von dem Raschi-Kommentar begleitet ist 
Von dem unermüdlichen Meister stammt außerdem ein reichhal 
tiger Kommentar zur Bibel, ausführlicher in dem den Pentateuch be 
handelnden Teil und knapper in seinen Ausführungen zu den Büchern 
der Propheten und zu den sogenannten „Schriften“. Auch hier er-
	        
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