Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 15, Deutschland unter den römisch-deutschen Kaisern 
sondern auch in der künftigen dem Verderben geweiht sei. Seinem 
Kummer über das dem gesamten Volke beschiedene Los gab aber der 
ruhmreiche Rabbi in einer Reihe von Bußgebeten (Selichoth) wir 
kungsvollen Ausdruck. In einem dieser Klagelieder heißt es: „Mit 
grundlosen Verleumdungen werden wir überhäuft, schuldlos den Plün 
derern ausgeliefert. Einem Unglück folgt auf dem Fuße ein anderes, 
jeder kommende Tag ist düsterer als der entschwundene. Deine Aus 
erwählten, o Gott, bedrängt der Feind, in der Zeit des Ungemachs 
fordert er frech, daß wir an deiner Statt einen Abgott verehren. Wie 
lange noch soll ich aus dieser Bedrängnis zu dir flehen? Erhöre mich 
doch in deinen weiten Räumen, du, der du allmächtig bist!“ Eine 
andere Elegie spielt auch auf das Datum ihrer Entstehung an: „Schon 
mehr als neunundeinhalb Jahrhunderte wendest du dein Antlitz von 
der herrlichen und treuen Stadt (Jerusalem) ungnädig ab“ (g5o Jahre 
nach der in das Jahr 70 der christlichen Ära fallenden Zerstörung 
Jerusalems ergeben das Jahr 1020). 
Bis zum Ausgang des XI. Jahrhunderts, d. i. bis zum ersten Kreuz 
zuge, kamen jedoch Verfolgungen in der Art der Mainzer nur ver 
einzelt vor und beeinträchtigten die allgemeine Lage der Juden in 
Deutschland nur unerheblich. In der zweiten Hälfte des XI. Jahr 
hunderts spielten die Juden in ganz Süddeutschland, von Lothringen 
bis nach Böhmen, eine höchst bedeutsame Rolle im Wirtschaftsleben 
des Landes. Ihre Handelstätigkeit wurde nicht behindert, ihr Land 
besitz nicht beanstandet und an ihrer Spitze standen gewählte Ge 
meindehäupter und Richter; an manchen Orten genossen sie darüber 
hinaus auch noch besondere Vorrechte. Als der Herr von Speyer, der 
Bischof Rüdiger, im Jahre 1084 seinem Bistum eine angrenzende 
Ortschaft angegliedert hatte, gab er diese den Juden als Siedlungs 
platz mit der Begründung frei, daß dies „der Gegend nur zu größe 
rem Ruhme gereichen könne“. Er wies den Neuangesiedelten ein be 
sonderes Viertel an („außerhalb der Gemeinschaft und der Wohn 
stätten der übrigen Bürger“) und umgab es zum Schutze der Juden 
gegen die „Frechheit“ des christlichen Mobs mit einer Mauer. Für 
das ihnen zugewiesene Areal hatten die Juden alljährlich an den bi 
schöflichen Schatz einen bestimmten Steuerbetrag abzuführen. In dem 
für die neue Siedlung erlassenen Statut räumte der Bischof den Ju 
den das Recht ein, auf dem ganzen Stadtterritorium und im Hafen 
unbehindert Handel zu treiben sowie christliche Bedienstete und so-
	        
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