Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 1U. Frankreich unter den Karolingern und Kapetingern 
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sich auf geteilt hatten. Nach dem Vertrag von Verdun vom Jahre 843 
fiel nämlich der größte Teil Frankreichs an den Sohn Ludwigs, Karl 
den Kahlen, Italien, Lothringen und ein Teil des mittleren Frankreich 
an Lothar, und Deutschland an Ludwig den Deutschen. Allein nicht 
nur der territoriale Besitz des Imperiums wurde nunmehr zerstückelt, 
sondern ebenso auch die Staatsgewalt innerhalb eines jeden seiner 
Bruchteile, da die immer festere Wurzeln fassende Lehensordnung 
die königliche Gewalt stark beeinträchtigte und eine Dezentralisation 
der gesamten Staatsverwaltung im Gefolge hatte. Während aber 
die weltliche Macht so immer mehr der Zersetzung anheimfiel, schloß 
die Geistlichkeit ihre Reihen um so enger. Dem bunten Gemisch von 
Königen, Grafen und Herzogen stand eine wohldisziplinierte, auf den 
Befehl des päpstlichen Rom hörende Armee von Bischöfen gegen 
über, und es war nicht schwer vorauszusehen, welche dieser beiden 
sich befehdenden Mächte den Sieg davontragen würde. 
Im Jahre 845 wurde nach Meaux (bei Paris) ein Konzil der 
Kirchenwürdenträger einberufen, das erst im nächsten Jahre in Paris 
mit seiner Arbeit fertig wurde. Das Konzil beschloß, eine Reihe alter, 
die Juden überaus beengender und erniedrigender Vorschriften wie 
der in Kraft zu setzen, die auf Grund der bekannten Erlasse der 
byzantinischen Kaiser sowie der Konzilsbeschlüsse aus der Merowin 
gerzeit jetzt neu formuliert wurden. König Karl der Kahle wurde 
auf gef ordert, diese Kanons zu Staatsgesetzen zu erheben. Doch be 
saß der französische König noch Staatssinn genug, um diesen Vor 
schlag der Fanatiker, die die gesamte bürgerliche Verfassung ihren 
engen Kasteninteressen unterzuordnen strebten, entschieden abzuleh 
nen. Überhaupt war Karl den Juden keineswegs feindlich gesinnt; 
so stand ihm z. B. als Leibarzt ein Jude namens Zedekia nahe, der 
dem abergläubischen Mob und den Mönchen als Zauberer und Schwarz 
künstler galt. Doch ließ es die Geistlichkeit bei dem fehlgeschlagenen 
Versuch des Pariser Konzils nicht bewenden: sie hörte nicht auf, die 
Machthaber und das Volk gegen die Juden aufzuhetzen, entfachte im 
mer mehr die Flamme des religiösen Hasses und bereitete so den Bo 
den für die blutige Ernte der Zukunft. 
Der treue Jünger und Nachfolger des Agobard, der Erzbischof 
von Lyon, Amulo, war es vor allem, der die antijüdische Agitation 
mit erneuter Kraft begann. Die von ihm um das Jahr 846 verfaßte, 
bereits kurz erwähnte Schrift „Contra Judaeos“ malte die denchrist-
	        
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