Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Karolinger zeit in Mitteleuropa 
regte sich der Bischof über jenes vom Kaiser den Juden verbriefte 
Vorrecht auf, demzufolge andersgläubige Sklaven zum Christentum 
nur mit Zustimmung ihrer jüdischen Herren bekehrt werden durften, 
von denen jedoch eine solche Zustimmung, die sie ihres Eigentums 
rechts an dem Neubekehrten beraubt hätte, nicht zu erwarten war. 
(Das Gesetz über die obligatorische Freilassung zum Christentum 
übergetretener Sklaven blieb nämlich nach wie vor in Kraft.) In 
einem an die Hofgeistlichen gerichteten Schreiben (um 82 5) gab 
Agobard seinem Staunen darüber Ausdruck, daß der „allerfrömmste 
und allerchristlichste Kaiser“ sich zu einem den Kirchenregeln wider 
sprechenden Erlaß habe entschließen können. „Von dem Wunsche 
beseelt — so führt er weiter aus —, den Geboten der Kirche gefügig 
zu sein, und zugleich davor zurückschreckend, der kaiserlichen Ver 
fügung zuwiderzuhandeln, sehen wir uns einer zwiefachen Gefahr 
ausgesetzt: sollten wir uns, ohne uns an die kirchlichen Regeln zu 
kehren, an diese Verfügung halten, so würden wir Gott eine Unehre 
antun; halten wir uns hingegen an die Kirchenregeln, so haben wir 
den Zorn des Kaisers zu befürchten, da der Magister der gottlosen 
Juden uns ständig damit droht, daß er uns bei den bevollmächtigten 
Hofkontrolleuren (missi dominici) anzeigen werde, die uns ob solcher 
Eigenmächtigkeit vor Gericht stellen würden“. Den am Hofe leben 
den Gesinnungsgenossen des Agobard gelang es jedoch nicht, den 
Kaiser auch nur im geringsten umzustimmen. Nunmehr begann der 
Erzbischof von Lyon in seinen haßerfüllten Predigten das Volk gegen 
die Juden aufzuhetzen. Auch ließ er in seiner ganzen Diözese kund 
tun, daß alle Christen die Pflicht hätten, den Kirchenkanons unbe 
dingt Folge zu leisten, und zwar: keinerlei Umgang mit den Juden 
zu pflegen, kein Fleisch und keinen Wein bei ihnen zu kaufen, und 
in ihren Häusern, in denen man am Sabbat ruhen, am Sonntag aber 
arbeiten müsse, keinerlei Dienste zu tun. Die Juden versäumten nicht, 
sich über den eigenmächtigen Erzbischof bei Ludwig zu beschweren, 
worauf an den Grafen von Lyon ein kaiserlicher Befehl erging, alle 
zum Schutze der dortigen jüdischen Bevölkerung gegen den streit 
baren Klerus notwendigen Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen 
(826). Bald traf in Lyon auch der Magister der Juden, Everard, ein 
Christ, in Begleitung zweier Kontrollbeamten ein, die Agobard eröff- 
neten, daß der Kaiser über seine judenfeindliche Agitation sehr un 
gehalten sei, und ihn dringlichst aufforderten, sich gegen die Gesetze 
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