Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 12. Die Juden unter Karl dem Großen 
hungen anzuknüpfen, zurückzuführen sein, wobei der jüdische Kauf 
mann als Kenner des Arabischen zugleich bei den mit dem Kalifen 
gepflogenen Unterhandlungen Dolmetscherdienste geleistet haben 
mochte. 
Bei alledem blieb die weltliche Gesetzgebung auch damals von 
den Kirchenkanons nicht ganz unbeeinflußt. In den „Kapitula 
rien“ Karls des Großen sowie in denen seiner Nachfolger begegnen 
wir einer Reihe von Vorschriften, die zweifellos von der Idee des 
christlichen Staates eingegeben worden waren. So wurden Juden, die 
christliche Lohnarbeiter zur Arbeit am Sonntag anhielten, härteste 
Strafen angedroht, doch war die Beschäftigung der Christen durch 
Juden, ungeachtet der alten Gesetze, an und für sich nicht untersagt. 
Auf die Pfändung von Kirchengerät durch jüdische Gläubiger stand 
die Strafe der Vermögenseinziehung und des Abschlagens des rechten 
Armes. Rechtshändel unter Juden wurden nach ihren eigenen Ge 
setzen geschlichtet, dagegen gehörten Rechtsstreitigkeiten zwischen 
Juden und Christen vor die allgemeingerichtlichen Instanzen. Hierbei 
war für die von Christen eines Verbrechens bezichtigten Juden 
eine besondere Formel des Reinigungseides festgesetzt. Der Ange 
klagte mußte mit dem Pentateuch (im Urtext oder in der lateini 
schen Übersetzung) in der Hand etwa die folgende Eidesformel spre 
chen: „Möge Gott, der Gott, der Moses auf dem Berge Sinai das Ge 
setz gegeben hat, mir seinen Beistand entziehen; möge mich der Aus 
satz des Syrers Naaman treffen; möge mich die Erde verschlingen, 
wie sie Dathan und Abiram verschlungen hat — wenn ich dir in die 
ser Sache Böses angetan habe“. Die Ausdrücke scheinen alten hebräi 
schen Eides- oder Bannfluchformeln entlehnt worden zu sein, doch 
fügte die erfinderische Kirche den Worten der Abschreckung auch 
noch ein Quentchen von Demütigung hinzu. Ein von einem Juden 
irgendeines Verbrechens angeklagter Christ konnte sich entweder 
durch einen vor einer heiligen Reliquie gesprochenen Schwur oder 
aber durch das „Gottesurteil“, etwa durch die Berührung von glühen 
dem Eisen, von der Beschuldigung reinwaschen, während ein ange 
klagter Jude mit um den Hals, die Oberschenkel und die Knie ge 
wundenen Dornenzweigen den Reinigungseid zu leisten hatte und nur 
dann als unschuldig galt, wenn er die Folterprobe ungebrochenen 
Mutes bestanden hatte. Zwar ist es geschichtlich nicht ausgemacht, ob 
die „Kapitularien“, in denen diese Zeremonien vorgeschrieben wer- 
8 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
113
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.