Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 12. Die Juden unter Karl dem Großen 
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Übergabe der Stadt entschlossenen Juden dadurch keinen Verrat an 
der arabischen Regierung begingen, da die jüdische Gemeinde von 
Narbonne sich einer uneingeschränkten Selbstverwaltung erfreue und 
sogar einen eigenen, aus Bagdad (in der Legende „Baldachi“) gekom 
menen, dem Davidsgeschlechte angehörenden König an ihrer Spitze 
habe. Im Namen dieses jüdischen Oberhauptes hätte dann die Ge 
sandtschaft Karl etwa 70 000 Mark als Geschenk übergeben und 
sich zur Unterwerfung bereit erklärt, falls er die bestehende jüdische 
Autonomie unangetastet lasse. Karl sei darauf eingegangen, und 
nachdem er sich dann mit Hilfe der Juden der Stadt bemächtigt 
hatte, habe er ihnen ein Drittel des städtischen Areals überlassen und 
die Gewalt ihres „Königs“ über diesen Stadtteil anerkannt; ein wei 
teres Drittel wäre dem Bischof zugeteilt worden und der Rest dem 
Grafen Emmerich. Auch die jüdische Sage 1 ) berichtet von einer Tei 
lung der Stadt Narbonne in drei autonome Distrikte, fügt aber dabei 
hinzu, daß der jüdische Stadtteil von dem aus dem königlichen Ge- 
schlechte Davids stammenden Gelehrten Rabbi Machir verwaltet wor 
den sei, den Karl der Große aus Babylonien berufen und in das Amt 
eines jüdischen „Nassi“ oder Patriarchen eingesetzt hätte. Aus allen 
diesen Überlieferungen kann der geschichtliche Schluß gezogen wer 
den, daß den Begründern der karolingischen Dynastie tatsächlich 
daran gelegen war, sich bei den Juden von Narbonne, deren politische 
Stellungnahme im Kampfe der Franken mit den spanischen Arabern 
um Südfrankreich keine geringe Rolle gespielt haben mochte, mög 
lichst beliebt zu machen. So wird es erklärlich, daß die Juden Süd 
frankreichs sich unter diesen Herrschern eines verhältnismäßig ruhi 
gen Daseins und einer weitgehenden Autonomie erfreuten. 
Daß die Juden von Narbonne nach der Übergabe der Stadt an die 
Franken besondere Vorrechte genossen, ist auch durch eine offizielle 
Urkunde bezeugt. Der Papst Stephan III. wandte sich nämlich an 
den Bischof von Narbonne, Aribert, mit einem Sendschreiben (zwi 
schen 768 und 772), in dem er seinem Unwillen über die den Juden 
eingeräumten Grundbesitzerrechte und das Recht, auf gleichem 
Fuße mit den Christen zu leben, in den schwungvollsten Wendungen 
!) Wiedergegeben in der aus dem XII. Jahrhundert stammenden Chronik 
„Sefer ha’kabbala“ des Abraham Ibn-Daud; die Erzählung ist in dem neu ent 
deckten, von Neubauer herausgegebenen Manuskript (Band I, S. 82) zu finden. 
S. Bibliographie.
	        
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