Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

Die Entstehung des Christentums 
Regionen des geistigen Lebens der Nation vorherrschend war. Das da 
malige Pharisäertum enthielt neben vielen fördernden, lebenskräfti 
gen Elementen gar manches, was die Bekenner eines religiösen Pietis 
mus abstoßen mußte. Die übermäßig große Bedeutung, die die Phari 
säer der Gesetzeskunde, der Gelehrsamkeit und dem Buchwissen bei 
legten, rief in gewissen Gesellschaftskreisen eine Verachtung für den 
des Gesetzes unkundigen gemeinen Mann, den „Landmann“, den 
„Am-ha’arez“, hervor. Dem gemeinen Manne wurde wahre Religiosi 
tät abgesprochen; man blickte auf ihn als auf ein nicht rechtsfähiges 
Mitglied der Gesellschaft herab. Dieser geistige Aristokratismus der 
Pharisäer empörte die Begründer des Christentums nicht weniger als 
der Geschlechtsaristokratismus der Sadduzäer. Dem niederen Volke 
selbst entsprossen, vermochten sich Jesus und die galiläischen Fischer 
in dessen Seelenverfassung besser einzufühlen. Sie wußten nur zu 
gut, daß der schlichte Mann des innigen religiös-sittlichen Gefühls 
nicht weniger teilhaftig zu werden vermag als der Bücherweise. Und 
überdies sahen sie, wie oft in den pharisäischen Kreisen äußere Fröm 
migkeit in Scheinheiligkeit ausartete, in marktschreierische Werk 
heiligkeit, die nur auf irdische Vorteile und gesellschaftlichen Ein 
fluß bedacht war. Diese Heuchler und Scheinheiligen eben, die auch 
die Besten unter den Pharisäern als die „Gefärbten“ (Zewuim) kenn 
zeichneten, tadelte die neue Lehre mit der ganzen Wucht ihrer Straf 
reden, indem sie die ganze Partei mit jenen identifizierte. 
Das Bestreben, das religiös-sittliche Empfinden zu vertiefen, stellte 
das wertvollste positive Element der neuen Lehre dar. Doch war diese 
Strömung nicht neu; schon längst besaß sie innerhalb des Judaismus 
ihre Vertreter: vielseitige (die alten, gegen den Kultus und für den 
reinen sittlichen Glauben kämpfenden Propheten) und einseitige (die 
Essäer mit ihrer mystischen Vertiefung der religiösen Akte), und auch 
noch in einer viel späteren Epoche kommt sie in einer mächtigen 
Volksbewegung zum Durchbruch (im Chassidismus). Ja sogar in dem 
Pharisäertum der Zeiten Jesu war diese Strömung bemerkbar. Einer 
der ältesten Evangelisten, ein ausgesprochener Gegner der Pharisäer 
partei, führt denn auch die rührende Erzählung von einem Schrift 
gelehrten an, der in der Beantwortung der Frage: Welches ist das 
vornehmste Gebot vor allen? mit Jesus völlig einig war. Beider Ant 
wort lautete: an den einzigen Gott glauben, ihn von ganzem Herzen 
lieben und seinen Nächsten als sich selbst lieben. Jesus billigte die
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.