Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 2. Band 1902 (44. Jahrgang / 2. Band / 1902)

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Ueber Lanä unä Meer. 
Hohn zugleich waren Rinkes Blicke zurzeit der 
kleinen Freischar Düsseldorfer gefolgt, die, ihren 
Karnevalspräsidenten an der Spitze, mit glühen 
dem Enthusiasmus den „deutschen Brüdern" zu 
Hilfe geeilt war. Haha, viel schlimmer als die 
Dänen waren andre Feinde, aber gegen die zog 
niemand aus! Wo war der Prinz von Preußen? 
Weit in England — „geflohen" sagten welche. 
Verleumdung, elende! Nein, der wartete nur, bis 
seine Zeit kam. Aber wann kam die, wann?! 
Eine fieberhafte Sehnsucht glühte dem Soldaten 
im Blut, noch war er nicht alt, und doch fühlte 
er sich schon so: müde und alt. Sollte er denn 
ins Grab steigen, ohne jemals gekämpft zu haben? 
Liegen und verwesen, ohne einmal gesiegt zu 
haben? Wenn's dem König doch nur einer 
sagen wollte, daß mit der Langmut nichts aus 
gerichtet ist! Der wurde in Düsseldorf erwartet 
auf seiner Reise zum Kölner Dombaufest. 
Die Stadt rüstete zum Empfang des könig 
lichen Besuches. Aber nicht alle Bürgergar 
disten wollten sich einreihen lassen in das Spa 
lier, das sich vom Köln-Mindner Bahnhof die 
Königsallee hinauf und noch weiter ziehen sollte. 
Mochten sich da servile Fürstenknechte drängen, 
sie waren freie Bürger! Und doch war die 
Neugier groß. Aus den Dörfern und Fabrik 
orten der Umgegend, von diesseits und jenseits 
des Rheins zogen Scharen schon am frühen 
Morgen des 14. August in die Stadt. Die 
Schulen waren geschlossen, die Comptoire und 
Kanzleien auch. Alles feierte. Der Männer 
gesangverein allein plagte sich noch mit Neben; 
er sollte, während der König beim Prinzen im 
Jägerhof das Diner einnahm, im Vorgemach singen. 
Auch Frau Cordula im „Bunten Vogel" 
stellte heute für ein paar Stunden die Arbeit 
ein; sie war tüchtig am Schaffen für die morgende 
Hochzeit der Enkelin. Der Feldwebel hatte kurzer 
hand den 15. August dafür festgesetzt, da der 
Bräutigam die Wohnung längst hergerichtet; viel 
Wahl für den Zeitpunkt war auch weiter nicht, 
Konradi hatte wieder strammen Dienst und konnte 
knapp für den einen Tag abkommen. Josefine 
hatte keine Einwendungen gegen die Bestimmung 
des Vaters gemacht, auch sie dachte: Mozu noch 
zaudern? Ob heute, ob morgen, nur bald!' 
Es, war der Großmutter gar nicht recht, daß 
die Hochzeitsfeier nur so kurz sein würde — am 
selben Abend noch sollte das junge Paar nach 
Vohwinkel fahren —, daran war niemand wie 
der Rinke, der knappe Preuße, schuld! Eine 
richtige rheinische Hochzeit dauerte doch mindestens 
ein paar Tage: wer sollte denn all das Leckers 
aufessen?! Unermüdlich war sie hin und her 
getrippelt; die Kuchen für die Nachbarn standen 
schon parat, Wilhelm hatte bereits den lieben 
Nönnchen, für ihre Kranken in der Gemeinde, 
ein paar extra gute Flaschen Wein hingetragen. 
Die Kochfrau hatte schon die Braten gespickt, im 
Keller schwamm im Zuber pläsierlich ein großer 
Fisch- 
Wenn nur der Großvater frischer gewesen 
wäre! Der hatte eigentlich für nichts mehr auf 
der Welt Sinn. Stunden und Stunden verschlief 
er. Ungern ließ ihn Frau Cordula selbst für ein 
Stündchen allein. Aber heute, wo alles schon 
seit dem frühen Vormittag nach dem Bahnhof 
und der Königsallee rannte, mußte sie doch auch 
gucken gehen. Nur ein paar Augenblicke! Sie 
hatte noch nie einen leibhaftigen preußischen König 
gesehen. 
„Mutter, wohin jehste?" fragte Peter Zillges, 
der im Lehnstuhl im Comptörchen döste und die 
Daumen umeinander drehte. 
Als sie es ihm sagte, rief er ärgerlich, so laut 
er nur noch konnte: „Wat will de Mann hie?! Mir 
sin Düsseldorfer Bürger!" Aber dann vermischte 
sich ihm plötzlich dieser königliche Besuch mit dem 
des großen Napoleon, und er fragte interessierter: 
„Dazumal bauten se Ehrepooze, Han se jetzt auch 
en Pooz jebaut?" 
„Ich jonn ens kucke," sagte Frau Cordula 
und lief eilig fort. Sie sah nicht mehr, wie ihr 
alter Mann mit ungeahnter Kraft im Lehnstuhl 
auffuhr und zornig die zitternde Faust ballte: 
„De soll uns jewährde lasse!" Unruhig rollte 
Peter Zillges seine Augen umher, als suche er 
wo einen Schlupfwinkel: „Ich — ich jonn em 
ja auch aus der Weg!" 
Am festlich geschmückten Bahnhof standen die 
Deputationen des Gemeinderates, der Militär- und 
Zivilbehörden. Soldaten waren aufgepflanzt; auch 
Feldwebel Rinke stand dort in Paradeuniform. 
Ehern erschien sein Gesicht wie immer, aber in den: 
etwas vorgestreckten Hals, in dem krampfhaften 
Spiel der Finger an der Degenkoppel lag eine 
große Erregung. Mit glühendem Blick suchte er 
seinen König. Als die Equipage des Prinzen 
Friedrich vorüberfuhr, zuckte er zusammen, stier 
wurde sein Blick — das, das war der König?! 
In seinen Mantel gehüllt, lehnte der hohe Gast 
in einer Ecke des Wagens. 
Dem Feldwebel wollte das Herz brechen. Wo 
war der Glanz des jugendlich schlanken Kron 
prinzen, dessen Augen von Geist und Leben ge 
strahlt hatten? Er konnte die Züge, denen er 
einst in der eignen Jugendzeit zugejubelt, nicht 
wiederfinden; er wollte „Hurra" schreien und 
brachte es nicht heraus. Das Hurra um ihn 
her war auch matt — oder deuchte ihn das nur so? 
Viel Volks schwieg. Und die Sonne trübte ihren 
Schein, ein Wind machte sich auf und jagte den 
Staub in die Augen. 
Als Rinke die Lider wieder frei öffnen konnte, 
waren die Wagen längst vorüber. Aber eine 
unruhige Bewegung unter der Menge erschreckte 
ihn. Das war ein scheues Raunen, ein Flüstern 
— hier — dort — überall: man hatte pfeifen 
gehört, und plötzlich war, von ruchloser Hand 
geschleudert, Pferdekot in den Wagen geflogen 
und hatte den Mantel des Königs gestreift. 
Verblüffte, betroffene Gesichter sahen sich 
an. —
	        
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