Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 2. Band 1902 (44. Jahrgang / 2. Band / 1902)

Litteratur 
Ein neues Buch von Friedrich Ratzel darf stets auf 
besondere Beachtung Anspruch erheben, in erhöhtem Maße 
aber ist das der Fall mit dem Werke „Die Erde und das 
Leben", von dem uns der erste Band vorliegt (Leipzig, 
Bibliographisches Institut). Als Domäne Ratzels galt bis 
jetzt die „Anthropogeographie", und in seinem gleichnamigen 
Werke legt er die Beziehungen dar, die zwischen den verschie 
denen Menschenrassen und dem Boden bestehen, der ihre Hei 
mat ist. Den Boden selbst, d. h. die ganze Erdoberfläche zum 
Gegenstand hat Ratzels neues Werk, das auch den Nebentitel 
„Eine vergleichende Erdkunde" trägt. Nur scheinbar neu ist 
für den Autor also das Gebiet, auf das er sich hier begeben, 
das der physikalischen Geographie. Denn das war ja das 
Besondere an Ratzels Anthropogeographie, daß er aus dem 
Boden heraus die Eigentümlichkeiten der Menschenrassen er 
klärte. Aber nicht nur die Erdoberfläche, sondern die Erde 
als Ganzes ist Gegenstand des neuen Werkes, und da unser 
Planet wiederum nur ein Teil des Weltalls ist, so mußte die 
Betrachtung auch diesem Gedanken gerecht werden. Es folgt 
deshalb in dem vorliegenden Band aus eine historische Ein 
leitung, die von der Geschichte der Erdkunde handelt, eine 
kosmologische: „Die Erde und ihre Umwelt". In dem weiteren 
Abschnitt: „Die Wirkungen aus dem Inneren der Erde", 
lauten die Unterabteilungen: „Vulkanismus", „Erdbeben", 
„Strandverschiebungen", „Gebirgsbildung". Ein weiteres 
Kapitel behandelt „Land und Wasser, Festländer und Inseln", 
der vierte Abschnitt bespricht die Küsten, wie Gesteine, Schutt 
und Erdboden, der fünfte Verwitterung und Erosion, und 
weitere Kapitel erörtern die Bodensormen. Dem Kenner 
Ratzelscher Ideen wird es eine Freude sein, die Grundgedanken 
seiner Anthropogeographie auch hier wieder anklingen zu 
hören. Zur Erde gehört ja auch sein vornehmster Bewohner, 
der Mensch, auch er ist somit Gegenstand der Betrachtung. 
Bei strenger Wissenschaftlichkeit ist auch dieses Buch, wie 
alle Verlagswerke des Bibliographischen Instituts, durchaus 
gemeinverständlich geschrieben. Eine große Zahl vortrefflicher 
Abbildungen (wovon viele farbig) und Karten erhöht die An 
schaulichkeit. Der demnächst folgende zweite Band wird die 
Welt des Wassers und der Lust zum Gegenstand haben. 
— Eine Fortsetzung seines groß angelegten, reich illu 
strierten Napoleon-Werkes giebt Dr. Julius von Pslugk- 
Harttung in „Napoleon I. — Das Erwachen der 
Völker" (Berlin, I. M. Spaeth). Die Bezeichnung „Fortsetzung" 
möge nicht falsch verstanden werden, denn der neue Band bildet 
ein für sich abgeschlossenes Werk, das die Kenntnis des 
vorigen nicht bedingt; aber während im ersten Bande die Lauf 
bahn Napoleons von den Ansängen in der Revolutionszeit bis 
zur Begründung des Kaisertums geschildert und die gewaltige 
Entwicklung der napoleonischen Herrschaft dargelegt wird, 
zeigt der weitere Band den großmächtigen Kaiser aus seiner 
stolzen Höhe, die freilich nur von kurzer Dauer war, denn 
während der Imperator im Glanze seines Glückes sich noch 
sonnte, begannen bereits die unterjochten Völker aus ihrer 
Trägheit sich aufzuraffen. Der Beschreibung des prunkenden 
Hofhaltes reiht sich die Darlegung der Kämpfe an, die schließ 
lich zur Niederwerfung des Gewaltherrn führten. Besonders 
wichtige Abschnitte bilden natürlich der Zug nach Rußland 
und die Befreiungskriege. Auch in diesem Bande haben dem 
Herausgeber hervorragende Fachschriststeller zur Seite ge 
standen, deren Schilderungen von außerordentlich zahlreichen 
Abbildungen begleitet sind. Neben den Porträts der be 
deutenden Personen jener weltgeschichtlichen Epoche erhalten 
wir Ansichten der historisch denkwürdigen Orte, Schlachten 
bilder und Scenen aus dem militärischen Leben der Zeit, 
dazu Pläne und Skizzen, nach denen man den Verlaus der 
Kämpfe verfolgen kann. Vieles hiervon ist nach den Originalen 
der berühmten Meister napoleonischer Zeit wiedergegeben. 
— Houston Steward Chamberlain, der auch in Deutsch 
land schnell bekannt gewordene Verfasser der „Grundlagen des 
19. Jahrhunderts", ist aus den eigenartigen Gedanken ge 
kommen, die Lehre Christi aus ihrer historischen Einkleidung 
durch die Erzählungen des Evangelisten herauszuschälen und 
in einem Werke zusammenzufassen, das unter dem Titel 
„Worte Christi" von der Verlagsanstalt F.BruckmannA.-G. 
München veröffentlicht worden ist und sowohl wegen seines 
Inhalts wie wegen seiner vornehmen Ausstattung jedem 
gläubigen Christen, überhaupt jedem denkenden Menschen als 
edles Geschenkwerk willkommen sein wird. An einen Aus 
spruch des Kirchenlehrers Papias anknüpfend, der von sich 
schrieb, daß ihm die Bücher nicht so viel nützen wie das 
lebendige Wort Christi, das bis heute in den Menschen fort 
tönt, hat Chamberlain die Worte Christi, wie sie die Evange 
listen überliefert haben, aber in ihrer möglichst reinen und 
/ ursprünglichen Form zusammengestellt und nach gemeinsamen 
Grundgedanken gruppiert. Unter der Ueberschrist: über Glauben 
und Beten, über Gott und das Reich Christi, über sich und 
die Seinen, über die Priester und ihre Religionsgebräuche, 
über die Welt und die Menschen und über Thun und Lassen 
hat er die ganze christliche Heils- und Sittenlehre zusammen 
gefaßt, und damit hat er allen, die die reine, von allen dog 
matischen Auslegungen freie Lehre Christi immer vor Augen 
haben und im Herzen tragen wollen, einen großen Dienst ge 
leistet. Weit über den Wert eines gewöhnlichen Andachts 
buches hinaus erhebt sich das schöne Werk zur Bedeutung 
einer Urkunde. 
— Das Prachtwerk „Der Protestantismus am Ende 
des 19. Jahrhunderts", herausgegeben von C. Wercks- 
hagen, liegt nunmehr bis zur Hälfte vor (Berlin, Wartburg- 
Verlag). In Lieferung 13 behandelt Professor v. Smend in 
Straßburg Paul Gerhardt und das evangelische Kirchenlied, 
während weiterhin Professor Dr. Reimann Händel und Bach 
im Lichte evangelischer Kirchenmusik schildert. Leibniz und die 
Ansänge des Pietismus erörtert Professor Dr. Troeltsch in 
Heidelberg, und höchst interessante Ausführungen über den 
Protestantismus im Zeitalter Friedrichs des Großen bietet Dr. 
Kurth. Ueber vaterländische und religiöse Erhebung zu Anfang 
des 19. Jahrhunderts berichtet Professor Or. Meinecke, und ein 
Lebensbild Schleiermachers giebt Professor Scholz. Diese 
Arbeit findet eine treffliche Ergänzung in „Kant und Fichte" 
von Professor Dr. A. Dörner. Im ferneren behandelt die 
evangelische Kirche im neuen deutschen Reiche Hosprediger 
D. Rogge, und die Innere Mission im Protestantismus 
schildert Professor v. Hering. Weiter schildert Professor 
1). Mirbt die Entwicklung der äußeren Mission, und in einem 
Anhange behandelt Pastor I). Grundemann die jüngsten 
chinesischen Wirren in ihrer Bedeutung für die protestantische 
Mission. In Lieferung 25, „Gustav Adolf-Verein und der 
Evangelische Bund", giebt Professor Ur. Haupt eine Uebersicht 
über die weitverzweigte Arbeit des Gustav Adolf-Vereins in 
der Heimat und in der Diaspora. Für das evangelische Haus 
ist das Werk, das die bedeutendsten protestantischen Gelehrten 
zu seinen Mitarbeitern zählt und einen ungewöhnlich reichen 
Jllustrationsschmuck bietet, wovon vieles hier zum ersten Male 
veröffentlicht wird, aus das wärmste zu empfehlen. 
— In fünfter, erweiterter Auslage erschienen bei I. Baedeker 
in Leipzig Eduard Engels „Geschichte der französi 
schen Litteratur" und „Geschichte der englischen Lit 
teratur". Wir dürfen die beiden Werke wohl in einem be 
sprechen, denn sie sind aus demselben Grundsätze geschaffen 
worden, der darin beruht, dem Leser ein Handbuch zu geben, 
das ihm einen sicheren Ueberblick über das gesamte fremde 
Schrifttum, von den Ansängen bis aus die Gegenwart, ge 
währt und ihn durch Mitteilung von Proben zugleich mit der 
Eigenart der einzelnen Autoren vertraut macht. Natürlich ist 
die älteste Litteratur nicht so eingehend behandelt wie die 
neuere, aber doch ausführlich genug, um ein treffendes Bild 
der Entwicklung zu geben. Es ist geradezu erstaunlich, wie 
vorzüglich es dem Autor gelang, in einen immerhin nur 
knappen Rahmen alles Wissenswerte zusammenzudrängen. 
Man mache nur Stichproben mit solchen Autoren, die einem 
selbst vertraut sind, und man wird zugeben, daß der Verfasser 
in seinem Urteil ebenso gründlich wie treffsicher ist. Bei der 
englischen Litteratur hat der Autor selbstverständlich nicht die 
nordamerikanische vergessen und führt auch hier die Uebersicht 
über das Bemerkenswerte bis auf die jüngste Zeit. Beide 
Werke lassen sich angelegentlich denen empfehlen, welche die 
bedeutenden Erzeugnisse der fremden Litteraturen selbst lesen 
wollen, zugleich aber sind es treffliche Nachschlagebücher, die 
über die Autoren und ihre Schriften sichere Auskunft erteilen. 
— Von Franz Liszts Briefen an die Fürstin 
Karoline Sayn-Wittgenstein, herausgegeben von La 
Mara, liegt jetzt auch der vierte und letzte Band vor (Leipzig, 
Breitkopf <L Härtel). Es ist wohl der interessanteste Teil dieser 
merkwürdigen Briefe, denn er zeigt, welche Hindernisse — 
äußerliche wie selbst herbeigeführte — sich der lang ersehnten 
Vereinigung dieser beiden bedeutenden Menschen entgegenstellten. 
Nicht Liszt war es, der die Freundin ausgab, sondern sie 
verzichtete, und unter ihrem Einfluß nahm er die kirchlichen 
Weihen. Wer den bedeutenden Meister auch in seinem Menschen 
tum voll würdigen will, dem ist die Kenntnis dieser Briefe 
unentbehrlich. 
— Der in Frankfurt thätige Maler und Zeichner Wil 
helm Steinhaufen ist einer der einsam schaffenden und 
darum wenig gekannten deutschen Künstler, die eine viel höhere 
Wertschätzung verdienen, als sie ihnen bisher zu teil geworden 
ist. Die Kraft seines Wesens, seine ganze geistige Stimmung 
und Richtung wurzeln in den großen deutschen Meistern des 
16. Jahrhunderts, besonders in Dürer, dem er an Tiefe der 
Empfindung, an Schlichtheit und Naivität der Auffassung fast 
gleichkommt. Auch ist etwas vom Geiste Ludwig Richters, der
	        
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