Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

Ueber land und Meer 
über See haben an Schnelligkeit, Häufigkeit und 
Bequemlichkeit eben derart zugenommen, daß Wan— 
derungen hinüber und herüber zur Regel werden. 
Die Deutschen, die nach Argentinien gehen, suchen 
dort ebenso oft nur zeitweilige Arbeit als dauernde 
Niederlassung, ebenso wie die Angehörigen andrer 
Nationen, namentlich die Italiener und Spanier. 
Es stand beispielsweise in Argentinien im Jahre 
1899 einer Einwanderung von 84442 Köpfen bereits 
eine Rückwanderung von 388397 gegenüber. Und 
von den einwandernden 732 und den auswandernden 
366 Deutschen, in denen wohl noch ein beträchtlicher 
Anteil von Geschäftsreisenden steckt, berichtete die 
obige Statistik nichts, obwohl die letzten Ziffern 
einen wertvollen Anhalt für die Beurteilung der 
Größe des deutschen Verkehrs bieten. 
Argentinien hat in einem Zeitraum von fünf 
Jahren, von der Zählung vom 10. Mai 1895 bis 
zum 31. Dezember 1900, eine Bevölkerungszunahme 
von 3955000 auf 4794000 Einwohnern, also um 
200/ aufzuweisen, d. h. eine Zunahme, die doppelt 
so groß ist wie selbst diejenige der Vereinigten 
Staaten von Nordamerika im gleichen Zeitraum. 
Die schnelle Vermehrung ist zu zwei Fünfteln auf das 
Ueberwiegen der Einwanderung über die Aus— 
wanderung zurückzuführen. Trotz des schnellen An— 
wachsens ist aber die argentinische Bevölkerungszahl 
im Verhältnis zu dem großen Flächeninhalt noch 
eine recht schwache. In der am diichtesten be— 
völkerten Provinz Entre Rios betrug der Durch— 
schnitt vier Menschen auf den Quadratkilometer, 
während im allgemeinen noch nicht zwei Menschen 
auf den Quadratkilometer kamen. Die Provinz 
Buenos Aires mit der Hauptstadt stellt allein un— 
gefähr die Hälfte der gesamten Einwohnerzahl. Es 
muß aber berücksichtigt werden, daß große Ge— 
biete im Umfang von etwa einer Million Quadrat— 
kilometer noch gänzlich unbewohnt sind. Besonders 
zu bemerken ist, daß nach Buenos Aires zahlreiche 
Deutsche aus Rußland auswandern, die Stamm 
und Art treu bewahren, sich bei der Auswanderung 
ausdrücklich als Deutsche bezeichneten und fest zu 
ihrem Stamme halten. — ——— 
Aber so gering auch verhältnismäßig die An— 
zahl der Deutschen in Argentinien sein mag, sie 
haben doch, unterstützt durch die Deutschen im 
Mutterlande, sich eine angesehene und gesicherte 
Stellung errungen. Ihr Einfluß auf die indu— 
striellen, gewerblichen und Honde gunternehmungen 
des Landes steht dem andrer Länder vollwertig 
gegenüber; im Export von Landesprodukten nehmen 
deutsche Häuser sogar eine führende Stellung ein. 
Die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands sind mit 
keinem außereuropäischen Staat, die Vereinigten 
Staaten ausgenommen, so groß wie mit Ar— 
gentinien. Man muß dabei berücksichtigen, daß 
Deutschland in stetem, hartnäckigem Kampfe mit der 
englischen und nordamerikanischen Konkurrenz lebt 
Die Ursachen sind ältere: als man in Kapitalisten— 
und Handelskreisen vor etwa zwanzig Jahren auf— 
merksam wurde auf die „unerschöpflichen“ Reich— 
tümer dieses Landes, das für Nordländer zunächst 
auch günstigere Existenzbedingungen bot als die 
Mehrzahl der übrigen „unerschöpflichen“ Gebiete, 
bemächtigte sich eine schnell steigende Spekulation 
der Ausbeutung aller dieser Reichtümer, Milliar— 
den wurden angelegt und verloren oder auf Jahr— 
zehnte hinaus zinslos verliehen. Deutschland war 
daran zwar beleiligt, aber nicht als Haupthandeln⸗ 
der und Leidender. Aber heute noch sind die Be— 
iehungen aller der englischen und amerikanischen 
bisenbahn-, Plantagen- und Bergbauunternehmer 
ahlreich und eng, so daß der Konkurrenzkampf 
sier schärfer und verlustreicher für den deutschen 
daufmann ist als anderswo. 
Wie der deutsche Handel aber auch hier blüht, 
ann man verstehen, wenn man hört, daß allein 
n der Provinz und der Stadt Buenos Aires 
zegen 500 deutsche Firmen existieren, deren Kapital 
iuf mehr als 150 Millionen Mark geschätzt wird. 
diese Handelshäuser suchen in erster Linie den 
Zandelsverkehr nach Deutschland hinüberzuspielen 
ind führen ihre Waren möglichst nur aus Deutsch— 
and ein, aus fremden Ländern nur, soweit sie 
nb Deutschland nicht erhältlich sind. Im Jahre 
900 exportierte Argentinien nach Deutschland 
ür 234,6 Millionen Mark, während es aus 
deutschland für 64 Millionen Mark bezog, d. h. 
Argentinien war an der Einfuhr Deutschlands mit 
ier Prozent beteiligt, stand also in dieser Beziehung 
ür uns mit den Niederlanden und Italien un— 
zefähr auf gleicher Stufe und war —— — 
in besserer Abnehmer als beispielsweise China, 
Brasilien oder Spanien. Die deutsche Ausfuhr nach 
Argentinien hat, wie die Reichsstatistik zeigt, er— 
reulicherweise andauernd zugenommen; sie betrug 
897: 35,8; 1898: 44,7; 1809: 52,8; 1900: 68,9 
Millionen Mark. Der Anteil der einzelnen Länder 
in der gesamten Einfuhr schwankte in den letzten 
Jahren ganz erheblich. Es steht jedoch fest, daß 
die früher vorherrschende Stellung Großbritanniens 
nehr und mehr schwindet und sein Einfluß relativ 
ind absolut zurückgeht. * 
Die neueste Gestaltung der Dinge beleuchtet ein 
Bericht der nordamerikanischen Gesandtschaft in 
BZuenos Aires über das erste Halbjahr 1901. Die 
hesamteinfuhr in diesem Zeitraum hatte einen Wert 
yon 237 Millionen Mark; daran waren beteiligt mit 
78 Millionen England, mit 37 Deutschland, mit 
33 Italien, mit 29 Millionen Mark die Vereinigten 
Ztaaten. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum im 
Vorjahr war die Einfuhr annähernd konstant ge— 
olieben, Deutschland und die Vereinigten Staaten 
satten jedoch auf Kosten aller übrigen in Betracht 
ommenden Staaten, insbesondere Englands, im 
Wettbewerbe Erfolge erzielt. Die deutsche Ausfuhr 
aach Argentinien hatte gegen das Vorjahr zugenommen 
im 3 Milllionen Mark, die englische dagegen ab— 
zenommen um 3,4 Millionen, desgleichen im Verhält— 
ais die sonstigen Staaten. Diese Ziffern werden be— 
tätigt durch eine vom Reichsamt des Innern veröffent— 
ichte Zusammenstellung des auswärtigen Handels 
n Argentinien, in dem es heißt, daß, während vor 
illem Belgien, Frankreich, Italien und Groß— 
hritannien in ihrem Absatze nach Argentinien ganz 
»edeutende Einbußen erlitten, Deutschland und die 
Vereinigten Staaten allein dem Vorjahre gegenüber 
Fortschritte aufzuweisen hatten, und daß der Anteil 
ßroßbritanniens am Gesamthandel 35, Deutsch— 
ands 18, Italiens 1215 und der Vereinigten 
Ztaaten 12 Prozent betragen habe. In der Ein⸗ 
uhr Argentiniens steht also Deutschland an zweiter 
Stelle, und sein Handel ist derart im Steigen, 
daß es ihm wohl micht schwer fallen wird, diesen 
Platz mindestens zu behaupten. Von den aus 
Argentinien überhaupt ausgeführten Waren bezog 
nach der argentinischen Statistik Großbritannien 16, 
Frankreich 15, Deutschland 14, Belgien 8/, Prozent; 
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