Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

Ueber Land und Meer 
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mein Sohn,“ kam die spöttische Antwort zurück. 
„Aber die Zeit ist kostbar. Er hält also etwas 
auf Schmeichelei?“ 
Finster blickte Imbricius vor sich hin. Stoß— 
veise gab er Bescheid: „Ist sie zugegen, dann 
eid sparsam und hütet Euch. Sie hat scharfe 
Augen. Habt Ihr ihn aber allein, dann je kräf— 
iger, desto besser! Und wenn man tagtäglich 
inen Salbentopf über ihn ausschüttet, so ist sein 
Zedarf noch nicht zur Hälfte gedeckt.“ 
„Und er traut diesen Augen?“ 
„Wie seinen eignen. Es sind aber noch zwei 
indre Augen vorhanden, und ich würde Euch 
varnen, hütet Euch vor diesen wie vor jenen, 
wenn nicht —“ 
„Nun, wenn nicht —?“ 
„Des Fürsten Schwester —“ 
„Die Prinzessin Ulrike!“ unterbrach der Graf 
den Schreiber nachlässig. 
„Wenn Ihr ohnedies alles wißt!“ rief Im— 
—R 
„Weiter!“ befahl der Graf drohend.— 
„Ja, ich meine die Prinzessin Ulrike,“ fuhr 
der Schreiber widerwillig fort; „doch haben diese 
Augen zurzeit nicht viel zu bedeuten bei Hofe; 
denn sie sind etwas angetrübt. “ 
„Warum?“ 
„In kurzem — aber mir ist, als wäre ich 
eine Zitrone, und Ihr preßtet mich aus!“ 
„Haltet Euch meinetwegen für einen nassen 
— aber macht vorwärts!“ drängte der 
raf. 
„In kurzem: der drittgeborene Prinz eines 
Landes — nun, irgend eines Landes weit von 
zsier — das ist Amtsgeheimnis ,4 “— 
Der Graf lachte laut af. 
„Dieser Prinz hat vor etlichen Monaten um 
die Schwester Seiner Fürstlichen Gnaden, die 
Prinzessin Ulrike, angehalten. Man erzählt sich, 
zie beiden hätten einander an einem dritten Hofe 
ennen gelernt —“ 
„Und der Fürst hat seine Zustimmung ver— 
veigert,“ unterbrach ihn der Graf.— 
„Ihr wißt?“ fragte Imbricius. 
„Gewiß,“ sagte der Graf nachlässig. „Aber 
varum — das ist mir soeben entfallen.“ 
„Nichts könnt Ihr wissen von der ganzen 
BHeschichte!“ platzte der Schreiber halb zornig, 
halb ängstlich heraus. „Des Prinzen Frau Groß— 
nutter oder Urgroßmutter oder was weiß ich, 
st nur von gemeinem Adel gewesen, und des— 
vegen verweigert der Fürst seine Zustimmung.“ 
„Und wie leben die Schwägerinnen mit— 
einander?“ inquirierte der Graf. 
„Wie zwei Schwestern.““ 
„Das besagt viel und wenig in einem Worte,“ 
meinte der Graf. 
Von der Waldschenke her kam der Diener: 
„Sein alles fertig, wird brinnen, daß es Fraid 
sein, da, dort, hoben Herrschaften noch nie ge— 
sehen solches Feuer sein Lebtag!“ — 
Ich denke, wir machen uns auf den Weg!“ 
„Herr!“ fuhr der Kleine auf, und seine Stimme 
überschlug sich. „Herr, glaubt Ihr, ein Her— 
gelaufener vermöchte unsereinen bei Seiner Fürst— 
lichen Gnaden nur so im Handumdrehen anzu— 
schwärzen?“ 
Wohlwollend legte der Graf seine Rechte auf 
die Schulter des Schreibers: „Ein Hergelaufener? 
Ich bin der Graf von Santaporta! Soll ich 
Euch vielleicht diesen Namen durch meinen Diener 
auf den Buckel schreiben lassen um Sonnwend?“ 
„Ein Hergelaufener, der sich, wer weiß, mit 
welchem Rechte, Graf von Santaporta nennt!“ 
rief der Schreiber und riß sich los. 
„Und wenn nun dieser Graf von Santaporta 
sagt: Fürstliche Gnaden, Ordnung ist vonnöten 
in städtischen Angelegenheiten, der Regierende aber 
hat Eures Schreibers Quittung über die zwei— 
hundert Goldgulden zurzeit verlegt — befehlet 
ihm, daß er eine neue ausstelle!“ 9 
Imbricius war zusammengezuckt: „Seid Ihr 
der Leibhaftige?“ 
„Vielleicht,“ murmelte der Schwarze und kreuzte 
die Arme. „Und wenn dann der Graf von Santa— 
porta oder der Leibhaftige — Euch kann's ja gleich 
sein, wer — wenn nun einer von diesen weiter sagt: 
Fürstliche Gnaden, zählt Eure Dokumente, und wenn 
Euch vielleicht eine alte Urkunde fehlen sollte —“ 
Imbricius stürzte auf die Kniee, hob die Hände 
auf und wimmerte: „Gnade!“ 
„— wenn Euch vielleicht eine Urkunde fehlen 
sollte, viel schöne Grüße vom regierenden Bürger— 
meister, und er hat eine Abschrift!“ vollendete der 
Schwarze. 3 
„Gnade!“ wimmerte der Schreiber. 
„Dummer Kerl!“ brummte der Graf und ver— 
setzte ihm einen Stoß mit der Stiefelspitze. „Steht 
auf! Was — Gnade?“ —— 
Zitternd erhob sich der Schreiber und wischte 
an seinen Beinkleidern. 
„Ich pflege mir meine Rösser zuzureiten, 
Wertester, sonst nichts,“ sagte der Graf verächt— 
lich. „Das ist Euch nun wohl klar — oder nicht?“ 
„Ja!“ stieß Imbricius hervor. —VVV 
„Recht, mein Sohn! Und merket Euch: für 
meine Person ist es mir ganz gleichgültig, daß 
Euer Herr auf Grund jener verschwundenen Ur— 
kunde den Erbprozeß gewinnen müßte, so gleich— 
gültig, als hätte ich ein paar Geviertmeilen Landes 
auf dem Monde zu beanspruchen. Ganz gleich— 
gültig — solang das Rößlein gehorcht!“ 
„Macht, was Ihr wollt, mit mir!“ faurmelte 
der Schreiber. „Doch laßt mich nun nicht lange 
zappeln, macht's kurz! Was ist Euer Begehr?“ 
„Das wird sich finden — eines nach dem 
andern, mein Sohn! Nebenbei bemerkt, unglaub— 
lich dumm, wenn einer nur die halbe Arbeit 
liefert — eine Abschrift, wo man das Original 
in Händen hatte!“ 
Das ist meine Sache gewesen,“ bemerkte 
Imbricius mit einem scheuen Blick auf das gelbe 
Gesicht. — 
„Eure Sache? Nun, auch das wird sich finden,
	        
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