Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

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Ueber fand und Meer 
Tiefer neigte sich die Sonne. In majestätischer 
Stille dehnte sich das weite Land. Und in das 
Gurren der Wildtaube und in das Schluchzen der 
Amseln mischte sich das leise Weinen des unglück— 
lichen Paggio. Aber es währte nicht lange, dann 
hatte er sich sachte in den Schlaf geweint, hinter 
der dicken Eiche im Moose. 
Die Wolken verzogen sich allgemach, und am 
klaren Himmel sank die Sonne gegen die Berge. 
Zwei Männer kamen aus dem Walde empor 
auf die Kuppe. Kohlschwarz gekleidet war der 
eine, und leise knisterte und rauschte bei jedem 
seiner Schritte die Seide auf seinem Leibe. 
Der hohe, hagere Geselle hatte ein gelbes, kahl 
rasiertes Gesicht; nur ein kleines, kohlschwarzes 
Mücklein starrte unter seiner Lippe. Auf dem 
Haupte trug er ein schwarzes Barett, von dem 
drei schwarze Straußfedern nickten. Die schwarzen 
Federn staken in einem goldenen Köcherlein; am 
Wamse hinunter funkelten große goldene Knöpfe. 
Der andre war ein unruhiger, kleiner Kerl in 
höfischer Kleidung. *. 
„Also hier ist die Bühne, auf der die Komödie 
gespielt werden soll, Imbricius?“ fragte der 
Hagere und musterte mit einem geschwinden Blicke 
pr Holzstoß, die Schenke und dem ganzen weiten 
Platz. 
„Hier versammelt sich bei anbrechender Dunkel— 
heit der Hof, nach altem Brauche mit der Bürger— 
schaft das Sonnwendfeuer abzubrennen,“ kam die 
Antwort zurück. 
Der Hagere wandte sich nach dem Walde und 
ließ einen schwachen Pfiff ertönen. 
Sogleich knackten die dürren Zweige, und es 
erschien einer, auch ganz in Schwarz gekleidet, 
nur mit brennroten Knöpfen am Wamse und mit 
brennroten Federn auf dem Barette. Der trug 
ein Kistchen untern Arme. — 
Schweigend wies der Hagere auf den Stamm 
einer mächtigen Fichte. Eilig lief der andre mit 
seinem Kistchen hinter den Baum. W 
„Und er liebt es, wenn man ihm schmeichelt?“ 
wandte sich der Hagere zu dem Höfischen. 
„Den Buckel läuft mir's kalt hinunter, bedenke 
ich, was für mich auf dem Spiele steht!“ flüsterte 
dieser und schüttelte sich. 
„Auf das, was Ihr etwa denkt oder nicht 
denkt, kommt bei dem Handel überhaupt das 
Geringste an,“ sagte der Schwarze mit überlegenem 
Lächeln. „Eure Denkarbeit könnte in den nächsten 
Monaten Müllers Esel so nebenher besorgen, das 
merkt Euch! Hat mich nun der fürstliche Schreiber 
Imbricius endlich verstanden?“ — . 
„Und wenn ich nun aber nicht weiter mit— 
gehen will?“ murmelte der andre störrisch. „Wenn 
ich nun hintrete und warne meinen gnädigen 
Herrn, bitte ihn, Fürstliche Gnaden mögen sich 
hüten, es geht etwas vor, es schleicht etwas im 
Finstern, was, weiß ich nicht, aber Fürstliche 
Gnaden wollen sich hüten! Wie dann?“ 
Der Hagere schwieg und blickte angelegentlich 
in die sinkende Sonne. 
Trotzig fuhr der andre fort: „Ja, das werde 
sich thun, ich werde warnen. Ich werde ihm er— 
zählen von dem unheimlichen Schwarzen —,“ 
Der Gegner lachte leise und sah dem Schreiber 
ins Gesicht. Dann wandte er sich wieder ab und 
blickte in die sinkende Sonne. 
„— von dem unheimlichen Schwarzen, der 
zgestern auf einmal vor mir gestanden ist in meiner 
Behausung zu nachtschlafender Zeit, als wäre er 
zus der Erde gewachsen. Erzählen, daß ich ihm 
Helegenheit verschaffen sollte, an den fürstlichen 
hof zu kommen, und wer weiß, was noch, — 
varnen, Fürstliche Gnaden wollen sich hüten, so 
vahr ich's treu meine mit dem fürstlichen Hause!“ 
Der Hagere lachte kurz auf: „Dorthin auch 
noch, an die Buche, aber gehörig verteilen!“ rief 
ꝛx seinem Diener zu. „So wahr ich's treu meine, 
Schreiberlein?“ wandte er sich an seinen Begleiter 
und klopfte ihn auf die Schulter. „Wißt Ihr 
vas? Ich bedarf Euer nun gar nicht. Zum 
Fürsten komme ich auch ohne Euch. Aber dann 
verde ich, der Graf von Santaporta, ihm bei 
Belegenheit etwas mitteilen: Fürstliche Gnaden, 
ꝛs ist mir doch seltsam gewesen, wie sich Euer 
Diener verfärbte, als ich ihm einen Gruß vom 
regierenden Bürgermeister einer gewissen Reichs— 
tadt, nicht weit von hier gelegen —“ 
„Ist kein Wunder,“ fiel ihm der Kleine zornig 
in die Rede, „kein Wunder, wo wir doch fort— 
vährend im Prozesse liegen mit besagter Reichs— 
tadt, und nun läßt mich der Regierende grüßen! 
Weiß wirklich nicht, wie ich zu der Ehre komme!“ 
„So, das wißt Ihr nicht?“ fragte der Schwarze 
pöttisch. „Nun, ich denke mir, vielleicht hat der 
egierende Bürgermeister irgend einmal ein be— 
onderes Wohlgefallen an Eurer reckenhaften Ge— 
talt gewonnen!“ Die stechenden Augen musterten 
»as dürre Schreiberlein, und es erklang ein leises 
Lachen. „Will Euch vielleicht anwerben!“ 
„Spart Euern —, ich habe den Regierenden 
noch mit keinem Auge gesehen!“ rief Imbricius. 
„Und dann,“ fuhr der andre fort, „werde ich, 
der Graf von Santaporta, des weiteren warnen: 
Fürstliche Gnaden, obwohl der Regierende Euern 
Schreiber noch mit keinem Auge gesehen, hat er 
hn doch aufs beste grüßen lassen durch mich.“ 
„In der That, ich weiß nicht, was Ihr 
wollt!“ rief der Schreiber mit verzerrtem Gesichte. 
„Und dann werde ich sagen: Fürstliche Gnaden, 
er ist ein Ehrenmann, Euer Schreiber, doch er 
hat einen Fehler, er leidet an Gedächtnisschwäche. 
Merkwürdig ist mir nur, daß er trotzdem nicht 
vergessen hat, am nächsten Abende zu mir auf den 
Berg zu kommen —,— “ 
„Aus purer Gefälligkeit!“ rief der Kleine. 
„— auf einen Pfiff, wie ein Hündlein, Fürst— 
iche Gnaden!“ fuhr der Schwarze fort. „Aber 
eines rate ich, Fürstliche Gnaden, in Anbetracht 
der großen Gedächtnisschwäche besagten Schreibers, 
»erwahrt das Eurige bei Tag und Nacht, er 
önnte am Ende einmal vergessen, was sein ist 
and was Eurer Fürstlichen Grnaden!““—
	        
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