Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

Ueber [Land und Meer 
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vorwärts drauf! Hilde, will mich nun eine Ge— 
wisse haben mit Leib und Seel', mit Haut und 
Haaren? Zum ersten — zum zweiten und zum 
dritten und letzten Male?“ 
„Ei, was thut denn so 'n fürstlicher Hof— 
pfortner und Vogt mit einem Weib?“ 
„Was? Na, das thät sich dann schon finden 
im zweiten Teil. Was halt Seine Fürstliche 
Gnaden mit unserm gnädigen Hannele auch, da 
sind wir alle gleich, Hildchen, hoch und nieder, 
arm und reich. Was denn? Ei, halt gern 
haben — was sonst? Schlag ein, Hilde! Das 
müßt' ja klappen wie Blitz und Knall, die Hilde 
und der Florian!“ 
„Ihr wißt recht wohl, was ich meine,“ sagte 
die Magd nachdenklich. „Ein fürstlicher Hof— 
pfortner und Vogt hat ja selber kaum Platz in 
seinem engen Stüblein, Herr Florian!“ 
„Muß aber nicht immer bleiben in dem engen 
Stüblein, Hilde,“ meinte der alte Soldat mit 
pfiffigem Lächeln. 
„Wie habt Ihr gesagt?“ 
„Na, könnt's nicht sein, Hilde, daß Fürstliche 
Gnaden dem Florian Abendschein auf den Herbst 
oder Winter die Försterei in der Wiesenau ver— 
sprochen haben?“ sagte der Vogt und kam ver— 
traulich näher. 
„Mit dem schönen Försterhaus?“ rief Hilde, 
und ihre Augen funkelthen. 
„Samt funfzehn Morgen Feld, fünf Schaff 
Korn und andern Emolumenten,“ bemerkte der 
Freier selbstgefällig. * 
Hilde trat nun ein wenig näher, zupfte an 
ihrem Schürzenbändel und schlug zärtlich die 
Augen auf: „Wenn ich, wenn ich mich aber, 
Herr Florian, wenn ich mich nun aber fürchten 
chäte vor, vor des Herrn Försters großem Barte?“ 
„Ei, Hildchen, dann wird er eben abgenommen 
vom Meister Kinnfraß,“ sagte der alte Soldat 
und strich aufgeregt über seinen langen Bart. 
„Ach nein, Herr Förster,“ schmeichelte Hilde 
und kam noch näher, schlug die Augen nieder, 
strich ihr Kleid zurecht, seufzte herzbeweglich und 
flüsterte: „Ach nein, Herr Förster, beileibe nicht, 
der steht Euch doch so gut, der schöne Bart!“ 
„Und er gefällt dir, Hildchen? Ei, das 
klappt ja wie Blitz und Knall!“ rief der Vogt. 
„Und —“ Hilde that sehr verlegen, kam aber 
noch ein wenig näher; „und wie — Küßlein und 
Schmätzlein, Herr Foͤrster!“ vollendete sie tief 
aufatmend und hob die Aeuglein schalkhaft zu ihm. 
„Hilde!“ schrie der alte Soldat und breitete 
die Arme aus. 
Aber wie ein Kobold entwand sich ihm die 
Magd und sprang zurück. „Nein, nein, nein, 
Herr Florian!“ Sie sah ihn zärtlich an, warf 
ihm eine Kußhand zu und sagte neckisch: „Alles 
in Ehren, Herr Florian 
„Nun denn, ein Küßlein in Ehren!“ bettelte 
der alte Soldd e.. 
„Ei, so fangt mich eben, Herr Förster!“ lockte 
die Magd und eilte leichtfüßig zu Thale. 
ueber Land und Meer. Ill. Okt.Hefte. XViII. 11 
Und keuchend sprang der dicke Florian Abend— 
schein hinter ihr her über Gras und Kraut, über 
Stock und Stein. „Aber so warte doch ein wenig, 
Hilde — Hilde —!“ 
Tiefer sank die Sonne. In. majestätischer 
Stille lag das weite Land. Nur eine Wildtaube 
zurrte, nur ein paar Amseln schluchzten im abend— 
ichen Walde. 
Auf der Kuppe des Hügels ging ein festlich 
gekleideter Paggio hin und her, murmelnd und 
nit den Armen agierend, und es tönte in ab— 
gerissenen Sätzen: 
Huldin, fürstliche Frau, dir liegen die Völker zu Füßen 
dir legen die Völker zu Füßen — 
Zu Fußen — — 
Der Paggio blieb stehen, zog ein Stücklein 
Papier aus dem Wamse und blickte darauf: 
Huldin, fürstliche Frau, dir liegen die Völker zu Füßen 
Bleich der dürstenden Saat, welche im Winde sich wiegt. 
Oben pranget in Pracht die Sunne am Himmelsgewölbe, 
Jedem nicket sie zu, ach — und die Sunne bist du! 
‚Es ist bloß der zweite Vers, der mir nicht 
n den Kopf will, das andre geht dann wie am 
Schnürchen, murmelte der Knabe. Und innig 
viederholte er: 
Jedem nicket sie zu, ach — und die Sunne bist du! 
„IIn diesem Pentameter habe ich doch alles 
niedergelegt, was mich im Herzen bewegt, seufzte 
ꝛx. „Niedergelegt — Herzen bewegt? Ei, das 
st ja ein Reim, Friedrich, ein tadelloser Reim. 
den mußt du dir merken! — Jedem nicket sie 
uu — jedem.Ach, das ist's ja eben! — Und 
»och, und doch: sie muß es ja längst ahnen, daß 
ie meine Huldgöttin ist, und fühlt es sicher wonnig 
oeh im Herzen; aber sie getraut sich's nicht zu 
eeigen vor ihren Volkernn... 
Zornig ballte er die kleine Hand gegen das 
Schloß im Thale: — 
Weh ihm, dem grimmen Drachen. 
Der sie bei Tag und Nacht —R 
Mit neidgeschwollnem Lachen 
In seinem Horst bewacht!“ 
Dann aber wandte er sich ab, die hellen 
Thränen liefen ihm über die roten Wänglein, 
ind er seufzte herzbeweglich: ‚Ach, das ist ja 
das Tragödische, daß ich den hassen muß, der mich 
armes Waisenkind kleidet und nährt und lernen 
äßt — o du finsteres Schicksal!‘ Und bitterlich 
veinend begann er aufs neue stoßweise 
Huldin, fürstliche Frau, dir liegen die Völker zu Füßen 
Gleich der dürstenden Saat, welche im Winde sich wiegt. 
Jetzt hab' ich's ganz fest inne,“ murmelte 
x. Ich denke, es ist am besten, ich lege mich 
aoch ein wenig hinter die Eiche dort und weine 
mich gar satt, bis sie kommen!‘ V — — 
Und langsam ging er an den Saum des 
Waldes, warf sich ins Moos und vergrub den 
Kopf in den Armen.
	        
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