Volltext: Das neue Europa und seine historisch-geographischen Grundlagen

warum hat es keinen eigenen Handel? Es nennt die herrlichsten, tiefsten, ge 
räumigsten ^äfen der West sein eigen, namentlich an der Westküste, aber diese 
Häfen sind völlig verödet, und obwohl es bet nur 3000 Kilometer Entfernung 
von der Mstküste Amerikas das von der Natur — mindestens für den personen- 
und postverkehr — vorher bestimmte Vermittlungsland dorthin zu sein scheint, 
hat es gar keinen eigenen Schiffsverkehr. Dieses £anb, das alle natürlichen 
Vorbedingungen besitzt, ein friedlicher, dichtbevölkerter Garten Europas zu sein, 
zuckt in fortwährender Unruhe, leidet an chronischem politischem Fieber, kurz, 
ist einer der gefährlichsten Brandherde Europas. Woher rührt dieser Zustand? 
Die Antwort gibt die Geschichte. Aber von dieser weiß die breite Öffentlichkeit 
wenig. Denn, wie ein Ire einmal gesagt hat: die Engländer haben eine 
papierene Mauer um Irland gezogen, auf welcher innen geschrieben steht, 
was Irland von Europa, außen, was Europa von Irland erfahren soll. 
Irland hat seine Bildung und seine nationale Eigentümlichkeit von den 
Kelten empfangen. Die Ureinwohner aber waren nicht Kelten, sondern eine 
vorarische, kleine, dunkelhaarige, langköpfige Nasse, deren Neste in den pikten 
(picti, lateinische Übersetzung von ir. Eruithin — „Tätowierte") weiterlebten, 
und zu denen sich in der jüngeren Stein- und in der Bronzezeit ligurische Ein 
wanderer aus Gallien und Spanien gesellten. Um 500 v. Ehr. wanderten 
die Kelten, die sich später selbst Goidils, Gälen, nannten, ein; sie waren 
ursprünglich in der Minderzahl, haben aber der Bevölkerung in mehr lals 
tausendjähriger ungestörter Entwicklung ihre Sprache gegeben und ihr natio 
nales Wesen aufgeprägt. Auch der Name der Insel, Erin, stammt von ihnen. 
Von der römischen Herrschaft blieb Irland frei, es erhielt sich infolgedessen 
seine alte Geschlechter- oder Elanversassung. Um 900 n. Ehr. kannte man 
etwa J85 solcher Elans mit je einem „König" (ri) an der Spitze, der von 
der Vollversammlung der Freien aus einem vornehmen Geschlecht gewählt 
wurde; die Würde wurde also nicht vererbt. Im übrigen darf man nicht 
glauben, es habe irgendwie soziale Gleichheit geherrscht. Im Wesen der 
Geschlechterversassung liegt, wie wir dies auch in anderen Ländern mit so urtüm 
lichen Zuständen, z. B. Albanien oder Korsika, sehen, die Anerkennung der 
Blutrache als des vorwaltenden Nechtsgrundsatzes. Die hierdurch verursachten 
fortwährenden Fehden brachten allmählich in der Geschlechterverfassung ein 
sehr verwickeltes System von Abhängigkeit und Besitzklassen hervor. Das £anb 
war Eigentum des ganzen Elans, aber die überwiegende Masse der Bevölke 
rung bestand aus Unfreien, die die eigentliche Wirtschaftsarbeit besorgten und 
ihrerseits als Sachen oder Kräfte ohne eigenes Recht behandelt wurden. Die 
Freien und Viehbesitzer ließen ihr Vieh auf der Allmende weiden, sie bekamen 
auch ihren Anteil am wenig umfangreichen Ackerland des Elans umschichtig 
in Losen zugeteilt. Jedoch war von einer festen Abgrenzung der einzelnen 
Elangebiete keine Rede, und viele Stämme trieben sich nomadisierend innerhalb 
gewissen Gegenden umher. Am höchsten standen die Gefolgschaftsbesitzer, die 
auch eigenes privatland ihr eigen nannten und durch diesen Besitz, wie durch 
ihr kriegerisches Ansehen, eine große Elientel um sich scharten; aus ihren Reihen 
wurden die Könige gewählt und als solche erhielten sie auch einen Anteil am 
Elanland, gewissermaßen als Amtsgut, zum Nießbrauch auf Lebenszeit. Diese 
soziale pyramdie zeigte die Neigung, sich nach oben fortzusetzen, indem einige 
mächtige Geschlechter mit großen Söldnerscharen sich zu Provinzialkönigen 
aufschwangen und untereinander wieder die seit Ende des Jahrhunderts
	        
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