Volltext: Braunauer Kalender 1910 (1910)

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Des alten Invaliden Dank. 
Erzählung von Ludwig Blörnske. 
(Nachdruck verboten.) 
In Meister Bräunings Werkstatt war es still geworden. Gesellen und Lehr- 
burschen hatten ihr Handwerkzeug beiseite gelegt und genossen nach saurer.Wochen¬ 
arbeit den herrlichen Samstagabend, der heute, wo Mutter Natur im Maienstaat 
glänzte, ganz besonders verlockend war. Einer nur saß noch unter der hellen Glas¬ 
kugel und arbeitete emsig in die Nacht hinein. Es war Karl Steinberg, des Meisters 
fleißigster uud geschicktester Geselle. Ein paar zierliche Damenschuhe hatte er da unter 
den emsig arbeitenden Händen. Die sollten und mußten heute noch fertig werden, 
denn er hatte es der gestrengen Frau Hofrat versprochen, sie ihr morgens um 10 Uhr 
selber zu überbringen. 
Im großen Wohnzimmer nebenan herrschte, wie so oft, wieder einmal die 
ausgelassenste Fröhlichkeit. Meister Brännings Sohn, der Herr Studiosus, war zu 
den Pfingstserien gekommen. Darum wurde bei einer duftenden Maibowle ein frohes 
Wiedersehen gefeiert. Familie Bürgermeister und andere Honorationen waren dazu 
geladen. Meister Bräuning hatte nämlich einen recht ausgedehnten Bekanntenkreis. 
Er war Ratsherr, Kämmerer, Mitglied des Kirchenrates und Borstand von drei 
Vereinen im Städtchen. Kein Wunder also, daß er viele Freunde besaß. " « 
Karl Steinberg tat einen tiefen Seufzer, als er die Gläser aueinanderklirren 
hörte. Das viele Lachen machte seine Kopfschmerzen noch ärger, er griff mehrmals 
verzweifelt an die heiße Stirn und murmelte vor sich hin: „Ach, wer es so haben 
könnte! Glückliche Reiche!" 
Ja, Karl hatte keine Aussicht, auch einmal ein so wohlhabender Mann zu 
werden. Was er in den zehn Jahren, die er nun schon Geselle war, erspart, alles, 
alles hatte die Krankheit seiner alten Eltern verschlungen. Als er vor einem Jahr 
froh und voll stolzer Hoffnung von der Wanderschaft, die ihn in vieler Herren 
Länder geführt, mit vollem Geldbeutel heimkehrte, da ahnte er nicht, daß er jetzt 
wieder auf demselben Schemel sitzen würde, wo er einst.als Lehrling gesessen. Annchen 
Schröder, die sieben Jahre treulich auf ihn gewartet, kam ihm damals glückstrahlend 
entgegen, und sie träumten von einer herrlichen Zukunft. Seine Ersparnisse würden 
bequem hinreichen, sich selbstständig zu machen und seine Kunstfertigkeit müßte für 
gute Kundschaft sorgen. In drei Monaten sollte dann die Hochzeit gefeiert werden. 
Doch es kam anders. Vater Steinberg, ein rechtlicher Tischlermeister, wurde durch 
einen Schlaganfall fast gänzlich gelähmt, so daß er sein Handwerk aufgeben mußte, 
und die kränkliche alte Mutter wurde von aller Aufregung so herzleidend, daß sie 
das Bett bis heute nicht mehr hatte verlassen können. 
Annchen Schröder pflegte ihre zukünftigen Schwiegereltern nun mit wahrer 
Kmdesliebe und tat für sie, was in ihren schwachen Kräften stand. Daneben mußte
	        
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