Volltext: Innviertler Heimatkalender 1925 (1925)

Hob ihre blonden Locken; zwischen Himmel und Erde hing das Kind. 
Es tat aber keinen Blick in die grause Tiefe unter ihtn; unentwegt! 
hing sein Blick am Gipfel, von dem aus es zur Mutter finden sollte. 
Heißer brannte die Sonne. Die Steine, an denen die' Kleine sticht 
emporarbeitete, glühten. Vor ihren Ohren sauste es, als stiege die 
Tiefe brausend empor, sie zu verschlingen. Die Händchen bluteten; 
aber nur noch die einzige Schroffe, dann hatte sie den Mvfek 
erreicht. Mit letzter Kraft zog sie sich empor, schwer atmend lag' 
sie auf ton ersehnten Gipfel — und hoch, unendlich hoch blaute 
der Himmel über iihr. — — 
Grete lag erschöpft auf dem kahlen Fels. Schwere Strähne 
ihres blonden Haares klebten an der schweißbedeckten Kinderstirne. 
Aus ihren blauen, nach dem fernen, fernen Himmel gerichteten 
Augen rannen große Tränen nieder aus den harten Fels. — Da 
-war ein Rauschen in der Lust; ein dunkler Schatten zog über sie 
hin und ein Mächtiger Adler ließ sich unweit von ihr auf;We 
Kaute eines Felsens nieder!. Scharf sah der Vogel hierüber und! 
.plötzlich Hang, ihr klar verständlich, seine Stimme zu ihr her¬ 
über : „Wie kommst du, flügelloses Geschöpf, hieher in mein Reich? 
Was suchest du hier?" 
Da richtete sich Grete empor und erzählte dem großen, ernsten 
Vogel, daß sie ihre Mutter suche, die im Himmel sei. Nun sei aber 
der Himmel noch so ferne und sie sehe keinen Weg mehr — und 
fehnend breitete sie die Arme in das Blau. 
Das Herz des stolzen Vogels wurde gerührt von der treuen 
Liebe des Kindes zu seiner Mutter. Denn auch ihm' streckten sich bei 
jeder Hcimtehr die sehnsüchtigen Köpfchen seiner Vogelkinder ,aus 
dem Horst entgegen. 
Mütterlich klang seine Stimme, als er dem' Kinde versprach, 
es so nahe zum Himmel zu tragen, als seine Schwingen vermochten. 
Vertrauensvoll schlang Grete ihr Händchen um den Hals des Adlers 
nnd ihre weiche Wange lag eingeschmiegt in sein graues Federkleid. 
. Pfeilgerade stieg der Vogel in den Himmel hinein. Die Erde schwand 
unter ihnen, höher und höher stieg der Adler. Nun blieb er mit 
ausgebreiteten Flügeln hoch int Aether stehen und wartete auf 
eine große, weiße Wolke. Der setzte er djas Kind auf 'den Rücken 
und bat sie, es an die Himmelstür zu tragen. Dann glitt er rasch 
in die Tiefe, feinem Horste zu. Grete winkte ihm noch lange Grüße 
nach. 
Als sie ihre Augen von ihm wandte, sah sie vor sich ein strah¬ 
lendes Tor, über das viele goldene Türme und Zinnen ragten;, 
um die goldene Stadt schloß sich fcm Kranz paradiesischer Gärten.. 
Jetzt klopfte Grete wirklich an die Him'melstüre, ganz leise und 
zaghaft pochte ihr Fingevchen daran. Das Tor aber tönte wie eine 
Glocke, t:es und voll. Ans ihm hervor trat ein großer, ernster 
Engel. Seine ausgebreiteten weißen Fittiche füllten die Deffnungl 
des Tores, daß Grete keinen Blick durch dasselbe zu machen ver¬ 
mochte. „Was suchest du hier, kleines Mädchen?" fragte der Engel. 
"Da sank Grete in die Knie: „Großer, schöner Engel, ich suche nte;in
	        
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