Volltext: Innviertler Heimatkalender 1925 (1925)

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Das Märchen vom Rinde, das auf 
dem Berge feine tote Mutter suchte. 
Es war einmal ein kleines Mädchen, dem starb seine Mutter, 
als es sieben Jahre alt war. Zuerst begriff das Kind nicht ganz, 
was es verloren. Als aber fremde Menschen ins Haus kamen und 
als diese das kletzre Mädchen barsch hon sich wiesen, wenn es Zärt¬ 
lichkeit und Liebe suchend zu ihnen kam, erkannte Klein-Gretl in 
heißem Schmerze bald, was sie verloren. Und eines Morgens, 
da sich wie so oft niemand um sie gekümmert und sie hungrig! 
und ohne Frühstück von einem der großen Menschen zum andern 
gegangen war, ohne von ihnen beachtet zu werden, lief sie in trost¬ 
loser Traurigkeit zum Grabe ihres Mütterchens; dort wars sie 
sich zur Erde und weinte und schluchzte und grub mit ihren kleinen 
Händchen in die schwarze Erde des Grabes, immer tiefer, ob sie 
nicht doch die liebevolle Hand des toten Mütterchens fände. 
Das Kind, das ganz von seinem Schmerze hingenommen war, 
achtete es nicht, daß ein altes Weiblein, das die Blumen der Gräber 
zu begießen Pflegte, herangetreten war. Das Weiblein nahm Klein- 
Grete an den Schultern und richtete sie auf. Vorwurfsvoll zeigte 
die alte Frau aus die geknickten Blumen des Grabes und mit der 
müden Stimme des Alters, das die heißen Schmerzen der Jugend 
nur selten versteht, sagte sie: „Sieh, wie du das schöne Grab zu¬ 
gerichtet hast! Was wühlst du so töricht Im der Erde? Deine Mutter 
ist längst beim lieben Gott im Himmel und freut sich, daß sie aller 
Erdensorgen und -lasten ledig ist." 
Beschämt, mit blassen Wangen stand die Kleine, dann hob 
sie mit sorglichen Fingern die geknickten Pflänzchen hoch und ord¬ 
nete das Grab. 
Dabei beschloß sie in ihrem1 kleinen Herzen, zu ihrem Mütter» 
chm in den Himmel zu ge/hen. Auch sie wollte aller Erdensorgen 
und -lasten ledig sein und mit Wem Mütterchen fröhlich, lachen 
wie einst. 
Ueber die Mauern des Kirchhofs sah das Mädchen einen hohen, 
ragenden Berg sein Haupt bis in die Wolken heben. Vom Gipfel 
dieses Berges mußte man direkt in den Himmel hineingehen kön¬ 
nen. Grete klopfte den Rest der Erde von ihrem Röckchen und schritt 
ans den Berg zu. Sie Meinte, sie würde gleich dort fqin, aber 
sie mußte lange, lange gehen, bis sie endlich an seinem1 Fuße stand, 
rShte Füßchen brannten und der Hunger, den sie schon am Morgen 
empfunden, war noch quälender geworden. Aber tapfer begann 
-sie den Berg zu ersteigen. 
Dnrch einen Wald hoher Mächtiger Tannen stieg sie bergan. 
Die Stille ringsum bedrückte sie zuerst, bald aber zog heilige An¬ 
dacht in ihr 'Herz. Der Weg zum HimMel mußte ja durch solche 
heilige Stille gehen! Und da gluckste und plätscherte mit einem 
Male ein eilig Bächlein talabwärts; niederkniend trank sie von 
dem klaren Wässerlein, dann kletterte sie fröhlich! höher. Durch die
	        
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