Volltext: Innviertler Heimatkalender 1911 (1911)

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einer weisen Gevatterin. Der Aberglaube ist der Zwingherr, der die junge Mutter 
zu jener wohltätigen Ruhe verurteilt, die sie sich sonst kaum gönnen würde. Gehorcht 
sie nicht, droht er mit allerhand Gefährde für das geliebte Kind, für Haus und Hos. 
So erregt diejenige Wöchnerin Schauerwetter (Hagelwetter), die vor Ende ihrer sechs 
Wochen „hervorgeht", das heißt, wieder das erstemal in die Kirche geht, um dort 
hervorgesegnet zu werden. Auch soll sie sich vor Ablauf der sechs Wochen ja nie 
übet den „Dachtrapf" (Dachtraufe, die Grenze des eigentlichen Hausraumes) hinaus 
wagen. Sie darf während dieser Zeit in keinen Backofen, überhaupt in kein Feuer 
schauen, also nicht backen und nicht kochen, sonst geht das Kind früher oder später 
durch Flammen zugrunde. Sie darf nicht spinnen, denn aus dem Garne, das ihre 
Überfleißigen Hände drehten, würde ein Strick oder ein Baud, an dem sich das Kind 
erhängen würde. Sie darf auch kein Schloß aufsperren, sonst wird das Kind ein 
Dieb. Auch ist es ihr strenge verboten, einen Schritt in den „Troadkasten" (Getreide- 
kasten) zu machen. Täte sie es dennoch, dann bekäme das Kind das „Herzgspörr" 
(Herzkrampf). So entzieht der Aberglaube der sonst so riegelsamen Bäuerin ein 
Tätigkeitsfeld ums andere. Sie muß still halten und müßig fein in der gefährlichsten 
Zeit, in der allzu frühe Regsamkeit leicht schweren Schaden bringen kann. Geht sie 
aber endlich „fürer", dann muß sie auch wenigstens ein neues Kleidungsstück „anhaben." 
Schau, schau! Der Aberglaube in der Maske des Galantuomes. Aber auch der 
Umgebung der Wöchnerin legt er zartfühlende Schonung für die Kranke auf. Er 
sagt: es dürfe sie ja niemand durchs Fenster — also unversehens oder jählings — 
anreden, sonst bekommt der Teufel Gewalt über Mutter und Kind. Auf eine, wenn 
auch wahrscheinlich ganz unbewußte Ehrung des mütterlichen Weibes zielt die Volks¬ 
meinung hin, nach der jeder männliche Besucher der Wochenstube seine Kopfbedeckung 
unter dem Arme tragen muß. Versäumt er dies, dann weint ihm das Kind nach. 
Mißgestaltete oder sonst mit einem Gebrechen behaftete Kinder hätten bei der robusten 
Gemütsveranlagung des Bauern weniger als sonst irgendwo Anwartschaft auf liebe¬ 
volle Pflege und Berücksichtigung. Hier zeigt sich der Aberglaube geradezu als Liebes¬ 
apostel. Er predigt: Jene Eltern, die es versäumen, ihr Kind in der Wiege nach 
Rechten und Brauch zu segnen und mit Weihbrunn zu besprengen, die setzen sich 
der Gefahr aus, daß ihnen der Teufel das Kind mit einem Wechselbalg vertauscht. 
Ein Wechselbalg aber ist ein Teufelskind. Es ist mißgestaltet oder kropfig, tölpel¬ 
haft oder taubstumm. Es wächst heran wie ein anderes Kind, blickt aber eigensinnig, 
wird arbeitsscheu oder sonst „eitrig" in seinem Wesen, so daß schwer umzugehen mit ihm 
ist. Wird es bis zu seinem dreißigsten Jahre gut gehalten und behandelt, dann muß 
es der Teufel nach dieser Frist mit dem ausgewechselten Kind vertauschen. Hat man 
dem „Balg" jedoch roh oder übel zugesetzt, daun geschah dem richtigen Kinde vom 
Gottseibeiuns ein gleiches und es kommt nie wieder. 
Man bietet dem Bösen auch günstige Gelegenheit, wohlgestaltete Menschenkinder 
zu vertauschen, wenn man es versäumt, zu dem Niesen kleiner Kinder „Helf Gott" 
zu sagen. Ueberhaupt, solange die jungen Weltbürger noch nicht selbständig das 
Kreuz machen und den Gottes- oder Jesunamen aussprechen können, soll sie die 
Mutter so wenig als möglich verlassen. „Fratzen" soll man seine Kinder ebenfalls 
nie schelten. Dazu lacht der Teufel, weil er seine Höllenbrut auch so nennt. Was 
anderes als „Hütet die Kleinen und seid liebevoll mit ihnen" predigt hier der 
Aberglaube? 
Daß er den Teufel, den „Schwarzen", den „Andern", häufig als höchste Straf» 
instanz in den Mund nimmt, ist begreiflich. Himmel und Hölle — das sind die 
beiden Angeln, in denen sich für den Naiven die kugelrunde Welt dreht. Und da 
man sich nach der alten Erziehungsmethode immer mehr Wirkung von der Strenge
	        
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