Volltext: Innviertler Heimatkalender 1911 (1911)

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legten die Bürger den Grundstein. Aus dem berühmten Passau hatte man sich 
einen kundigen Meister verschrieben. — Und wenn du heute vom Bahnhöfe kommst, 
wie schlank steigt da neben diesem mächtigen Turme, der das stolze Bürgerbewußt-- 
sein verkörpern könnte, — das zierliche Türmchen der Spitalskirche in die Lust! 
Einer der wenigen spitzen Türme des Jnnviertels und sicher der schönste von ihnen 
allen. Wie sehe ich es heute noch vor mir, als an einem frischen Wintermorgen die 
Sonne, die eben über Haselbach drüben aufging, die beiden Türme mit rotgoldenem 
Netze umspann. 
Es ist ein kleines gotisches Kirchlein; das Aeußere in annehmbarem Zustande, 
weniger befriedigt der heutige Zustand des Innern. Man sollte bei einer neuen 
Renovierung wohl darauf achten! (Der alte Teil der Kirche in Kirchdorf bei Sim- 
bach z. B. ist sehr gut hergestellt!) 
Aber trotzdem ist der Eintretende überrascht. Es ist nicht das allein, daß an 
dem Baue nichts durch Zutaten anderer Stile verdorben worden ist (Altäre und 
Orgel sind ungotisch), es ist das Raumbild! Ein Aufstreben in die Höhe, — 
besonders wenn man unter der niederen Empore hervortritt — und dann doch wieder 
ein beruhigendes Eindämmen dieses Dranges durch das kuppelförmige Netzgewölbe, 
ein Zurückleiten des Blickes und des Sinnes auf die heilige Handlung in der 
Kirche und auf die Stimme in der eigenen Brust. Das wilde Stürmen bleibt vor 
der Tür. Selbst das Streben in die Höhe ist begnügsamer geworden. Das Kirchlein 
gehörte zum Spital, das Hartprecht Harskircher aus Zangenberg 
anno 1417 für verarmte Bürger und deren Frauen und zur höheren Ehre Gottes 
stiftete und das dann weiter, mit reichen Spenden bedacht, seinen Zweck treulich er¬ 
füllte. 1417, das war also 22 Jahre bevor der Grundstein zur Pfarrkirche gelegt 
wurde; Herr von Niederbayern war jener Heinrich XVI. Und die Gründung des 
Spitals ist nicht nur ein Beweis des Wohlstandes der Bürger und ihres Edelsinns, 
sondern auch eine Erinnerung an das schwankende Los des Menschen. Ueber Nacht 
kommt das Unglück mitten ins Glück — der stolze Kaufherr kniet eines Morgens 
in der Spitalkirche — das wilde Stürmen blieb vor der Tür! — 
Es ist nicht allen Leuten klar, daß sich auch in der Baukunst die Stimmung 
einer Zeit, die Art ihres Fühlens und Glaubens, die Art ihres Verhältnisses zu 
Gott, Welt und Himmel ausspricht. Es ist aber so. Freilich wird es wohl nur an 
den besten Bauten einer Zeit ganz deutlich werden. Aber selbst in dem großen Ge¬ 
folge von Bauten, die sich jenen großen Werken anschließen, kann der Aufmerksame 
diesen Ton hören. Und das ist gerade das Besondere an der Spitalkirche. Das 
Zusammenfassen des Eindrucks, das Zurücklenken auf die feste, dauernde Erde: das 
ist sonst nicht Eigenheit des gotischen Stiles. Ihm kommt das Emporschießen, das Empor¬ 
reißen des Auges und des Sinnes vor allem zu. Die Pfarrkirche zeigt das ja auch! 
Und man achte auch darauf: die regelmäßige Anlage einer gotischen Kirche ist die: der 
Altarraum, das sogenannte Presbyterium, wo sich das Wichtigste in der Kirche be¬ 
findet; der Versammlungsort der Gemeinde, das Laugschisf, des öfteren mit Neben- 
schiffen zu beiden Seiten, wie ein Gang, der zu dem Heiligsten hinleitet. Die 
Pfarrkirche ist ja so angelegt. Die Spitalskirche ist anders. Der Altarraum hat 
zwar die übliche Form, aber das Schiff ist hier kein Gang, rechts und links von 
einer Allee von Säulen begleitet; es ist zwar auch kein Rundbau, obwohl er mit 
einem kuppelartigen Netz überwölbt ist, aber es nähert sich einem Rundbau. Des¬ 
wegen hat ja das Kirchlein eine so eigentümliche Stimmung. Die anderen Kirchen 
und Kirchlein unserer Gegend sind nicht viel von einander unterschieden gewesen, 
sie ahmen im Kleinen nach, was man einst im Großen gesehen hatte. Das Bauen 
war Handwerk. Der Erbauer der Spitalskirche hingegen ging seinen eigenen Weg.
	        
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