Der Grundgedanke des öst.-ung. Angriffsplanes
325
über ins Treffen zu führen, daß man die Initiative vom ersten Augenblick
an dem Feinde überlassen hätte, weiter, daß zu Kriegsbeginn die Absicht
Rußlands, sich mit den Hauptkräften zunächst auf Österreich-Ungarn zu
stürzen, für die Mittelmächte keineswegs feststand, und daß Deutschland
selbst das größte Gewicht auf die Sicherung seines Rückens durch eine
öst.-ung. Offensive gegen das Zarenheer legte1). Aber auch der empfind¬
lichste Nachteil des stark ausgesetzten Aufmarschraumes, der ungünstige
Verlauf der Hauptverbindungen, die von Westen her schräg hinter den
linken Flügel führten, ließ das Verharren in einer Abwehrstellung am
San und am Dniester nicht unbedenklich erscheinen, selbst wenn man sich
hinter dem linken Flügel durch tief gestaffelte, zum Gegenstoß bereite
Reserven gesichert hätte2). FML. Metzger hat alle Gründe, die für den
Angriff im allgemeinen und für den Nordstoß mit starkem linkem Flügel
sprachen, in die Sätze zusammengefaßt: „Mit der Möglichkeit, daß die
feindliche Übermacht einen Rückzug erzwingen könnte, war immerhin zu
rechnen; was aber in diesem Falle unbedingt verhindert werden mußte,
war das Abdrängen des Nordheeres über die östlichen Karpathen nach
dem östlichen Ungarn. Das hätte den Russen den Weg ins Herz der
Mittelmächte freigegeben, die öst.-ung. Armeen aber von allen Hilfsquellen
des Vaterlandes abgetrennt und das Schicksal des Reiches besiegelt. Ein
Vorgehen über die Ostgrenze Galiziens, etwa über Brody und südlich
davon —bei defensivem Verhalten gegen den von Lublin'und Cholm vor¬
rückenden Feind — mußte wohl als ausgeschlossen gelten; es hätte die
eben geschilderten Gefahren in einem Maße gesteigert, das bei dem un¬
günstigen Kräfteverhältnis ganz unstatthaft war.. .3)." Es läßt sich auch
kaum behaupten, daß die wirklichen Ereignisse die Unrichtigkeit des ur¬
sprünglichen Conradschen Angriffsplanes erwiesen hätten. Die Offensive
vom linken Flügel aus zeitigte gleich zu Anbeginn bedeutsame Erfolge.
Der Sieg Dankls bei Krasnik nötigte Iwanow, die noch völlig unfertige
5. Russenarmee der k. u. k. 1. in die Flanke zu senden, womit sie ihrerseits
Auffenberg den offenen Südflügel hinhielt, und zwang den Großfürsten
zum Einsatz eines Teiles der um Warschau aufmarschierenden Korps, die
*■) Vgl. auch Freytag-Loringhoven, Menschen und Dinge, 221, wo es
u. a. heißt : „Conrad hat mir später gestanden, daß er nur schweren Herzens den Befehl
zum (auf Wunsch Deutschlands verfrühten) Vormarsch erteilt habe."
2) Diese Lösung verficht Groener, Das Testament des Grafen Schlieffen
(Berlin 1927), 113. Allerdings fügt er bei, Conrads Plan sei „gescheitert weniger an
seiner inneren Schwäche als an der Ausführung".
3) S c h w a r t e, V, 25. Vgl. auch C o n r a d, IV, 712ff.